Alexis des Tocqueville, der große französische Soziologe, schrieb in den 40er Jahren des 19. Jarhunderts ein faszinierendes Buch „Über die Demokratie in Amerika“. In einem Abschnitt geht es um die gerade entstehende Literaturindustrie. Unter anderem heißt es dort: „Die demokratischen Literaturen wimmeln immer von diesen Autoren, die die Literatur nur als Geschäft betrachten und wenn auch unter ihnen einige große Schriftsteller sein mögen, zählt man doch Tausende von Ideenverkäufern.“ Was in der Literatur festgestellt wurde, gilt noch viel mehr für die Musik der Gegenwart. Schaut man sich einmal an, was heute so alles unter Musik läuft, so findet man fast nur Geschäftsmusik.
Dass Musik allein im Sinne des Warenbegriffs verstanden wird, ist zwar nichts neues. Relativ neu ist jedoch, dass grundsätzlich Ware vor Ästehtik geht und in öffentlichen Debatten zum common sense geworden ist. Das dies auch eine demokratisch legitimierte Form des Kultur-Krieges ist, zeigt sich schon in der Bezeichnung der Hörer, die man ins Visier nimmt: Man bezeichnet sie schlicht als „Zielgruppen“. Man trifft sie über die zeitgeistgeschulten Ohren an der Geldbörse. Und damit schließt sich der Kreis. Musik wird zur tönend bewegten Form von geldwertem Kapital. So haben Karl Marx und Friedrich Engels doch noch verspätet und unverhofft Recht bekommen: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. In dieser Lage Initiativen über den Wert der Kreativität zu arrangieren, muss auf die Zielgruppen wie ein schlechter protestantischer Witz aus den Moralkellern der Musikindustrie wirken – nämlich unglaubwürdig und weltfremd. Wo das Geld regiert ist kein Platz für Kreativität.
Zuerst erschienen in der nmz 2003/04