Zwei CDs mit Bruckners neunter Sinfonie. Auf der zweiten die komplette Einspielung der ersten drei Sätze, so wie sie sattsam bekannt sind. Jenes Schlussstück im Werk Bruckners, mit all seiner Schönheit und auch Schroffheit – mit diesem weitausladenen Schlusssatz, der in die musikalische Unendlichkeit führt. Zu solchen Worten muss ich leider wohl greifen, diese Musik geht an die Grenze der Musik, wie sie überhaupt nur sagbar ist. Dass es Fragmente zum wirklichen Schlusssatz gibt, das war wohl bekannt; mir selbst zugegebenermaßen weniger. Und ich habe bei der Auswertung des Unfertigen zu Werken immer etwas Probleme. So mit der Neuerfindung der 10. Sinfonie Mahlers. Es kann dies kein Mahler sein, aber es ist der erste Strich von Gustav Mahler. Harnoncourt hat nun die Fragmente dieses Satzes eingespielt und in einer Art Gesprächskonzert erörtert. Das ist auf der CD 1 drauf, gleich zweimal: in englischer und deutscher Sprache.
Diese Form der sprachlichen und dann musikalischen Annäherung scheint mir in der Tat angemessen. Man hat dies unter den vielversprechenden Titel „Wie ein Stein vom Mond“ gestellt, und damit auch an Kubricks „2001 – A Space Odyssey“ verwiesen, gewiss ein schwerer Eindruck und Einwurf, aber nicht ganz falsch. Die Fragmente, die Harnoncourt zusammenstellte sind von ungeheurem Ausdruck. Die Musik klingt teils in der Tat kubisch, eckig, unausgeglichen. So richtige sanfte Linien und Ein- und Ausschwünge wird man nur wenig finden. Das mag Sinn und Ausdruck des dritten Satzes, des „Adagio. Langsam; feierlich“ gewesen sein. Hier ist zu Beginn in einem langen Crescendo das Telos schroff und nicht gar. Ja, die Bewegungen der weitsprüngigen Motive sind wie grundlos in die Ferne schweifend. Das zweite Thema wirkt zu Beginn beseelt, wird aber von der Exposition des Ausdruck zu Beginn eingefangen und kann sich nicht für sich selbst emanzipieren. Ich bin mir nicht sicher, ob das in der Endfassung so geblieben wäre. Der Satz wirkt einfach, so wie er ausgeführt ist, irgendwie bösartig. Auch der dritte Themenkomplex aus einer Art Choral gebildet hat schlimme Härten, die in den derben Dissonanzen der Trompeten gegen Ende kulminieren. Man möge mir verzeihen, aber das ist ein unerhörter Bruckner, der zwar nach Bruckner klingt, aber doch in einer so ungemilderten Fassung, dass einem das Nachfolgen schwer fällt. Die neunte Sinfonie ist ja insgesamt kein leichtes Ding. Die Charaktere der einzelnen Sätze sind aber klar artikuliert. In den Fragmenten scheinen sich die zuvor exponierten Charaktere insgesamt zu durchdringen. Das ist meines Erachtens eben nicht gelungen und wirkt auf mich einfach unsauber.
Von der Aufnahme her problematisch aber auch, dass eine Passage mit den den Dissonanzen der Trompeten bei der Version in Track 2 am Ende nicht identisch gespielt ist mit der Gegenüberstellung des gemilderten mit dem „originalen“, die Harnoncourt in Track 3 nacheinander spielt. Wie auch immer, diese Fragmente sind faszinierend und wunderschön gespielt. Für jeden Liebhaber der Musik Bruckners ein absolutes Muss – bis zur nächsten Einspielung wenigstens.
Anton Bruckner, Symphony No. 9
with the documentation of the finale fragment
Nikolaus Harnoncourt, Wiener Philharmoniker
BMG Classics 82876 54331 2