80.000 gegen 60.000. Kein Ergebnis aus dem Fussball sondern ein quantitatives und qualitatives Verhältnis aus der aktuellen Kulturpolitik. Schon über 83.000 Menschen haben eine Petition mitgezeichnet, die auf eine grundlegende Reform der Gema hinaus will. Ihnen gegenüber stehen etwa 60.000 Berechtigte, die an den Erträgen der Gema beteiligt werden. Der Gema geht es nun in breiter Öffentlichkeit an den Kragen und immer heftiger mehren sich die Stimmen, die mit dem „System Gema“ ihre Probleme haben und Unzufriedenheit bekunden. Worum geht es dabei genau?
Petitionen, warum, wie und was?
Artikel 17 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland erteilt jedermann „das Recht, sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden.“ Ein Petitionsausschuss nimmt sich dieser Bitten an und leitet sie gegebenenfalls weiter in den Bundestag. Allein in diesem Jahr haben schon drei Petitionen die magische Grenze von 50.000 Mitzeichnern überschritten, denn ab dieser Zahl besteht zudem die Möglichkeit in einer öffentlichen Sitzung des Ausschusses, der Petition Nachdruck zu verleihen. Darunter die erfolgreichste Online-Petition bislang überhaupt „Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten“.
Jetzt gewinnt eine einen Zuspruch, der man einen solchen Erfolg nicht unbedingt zugetraut hätte mit dem zudem unhandlichen Titel: „Bürgerliches Recht – Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA)“. Ziel der aktuellen Petition ist: „Der Deutsche Bundestag möge beschließen….dass das Handeln der GEMA auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz, Vereinsgesetz und Urheberrecht überprüft wird und eine umfassende Reformierung der GEMA in Hinblick auf die Berechnungsgrundlagen für Kleinveranstalter, die Tantiemenberechnung für die GEMA-Mitglieder, Vereinfachung der Geschäftsbedingungen, Transparenz und Änderung der Inkasso-Modalitäten vorgenommen wird.“
Kurz gesagt, die Gema ist eine ungerechte und undurchschaubare Organisation. Die Gema werde ferner ihrer Aufgabe nicht gerecht, die Erträge als Verwertungsgesellschaft angemessen an ihre Beteiligten zu verteilen und schlimmer noch, sie behindere zugleich die Verbreitung der Werke der von ihr vertretenen Künstler durch überhöhte Forderungen, vor allem gegenüber Kleinveranstaltern.
Arrogante Vermutungen über Werke
Darüber hinaus behindere sie auch die Verbreitung der von ihr nicht vertretenen Künstler, indem sie einen Nachweis dafür einfordert; das ist beispielsweise die sogenannte Gema-Vermutung, wonach grundsätzlich erst einmal Werke der Musik als durch die Gema vertreten angenommen werden, solange man nicht das Gegenteil nachweist. Ein Zeichen von einem Gefühl, das viele beim Namen Gema empfinden: Arroganz. Die Gema-Vermutung ist zwar höchstricherlich bestätigt, doch zeigen Entwicklungen im Kunst- und Musikmarkt an, dass durchaus immer mehr Repertoire wirklich Gema-frei ist. Deshalb findet der Petitionstext harte Worte „Die GEMA wird zunehmend vom ‚Kultur-Schützer‘ zum ‚Kultur-Vernichter‘.“
Ähnliche Kritikpunkte wie die Petition hatte vor über einem Jahr übrigens auch die Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ in ihrem Schlussbericht markiert. Daraufhin hat die Gema nach immerhin einem Jahr mit einigen kosmetischen Korrekturen reagiert. Am Thema fehlender Transparenz bei der Gema hat dies wenig geändert. Namens ihrer Pressesprecherin, Bettina Müller, erklärt sich die Gema für komplex aber nicht kompliziert und dokumentiert damit ihren von Jahr zu Jahr zunehmenden Realitätsverlust – vielleicht sollte man auch einmal ein Gema-Quiz für die Öffentlichkeitsarbeiter der Gema entwickeln. Allein der Aufholbedarf, den Müller aus der Zeit vor dem amtierenden Vorstandsvorsitzenden der Gema Harald Heker gegenüber Spiegel Online () dafür verantwortlich macht, ist wenig plausibel: Der Ausbau im Marketing- und Pressebereich war bislang ambitioniert aber ebenso wenig ertragreich. Personalfehlbesetzungen inbegriffen. Die nmz kann ein Lied davon singen.
Gema-Reaktion: Man ist eingeschnappt
Davon zeugt nicht zuletzt auch die Reaktion der Gema auf die Petition, indem sie erklärt, dass all die genannten Forderungen längst in der Phase der Umsetzung seien. Im übrigen sei die Zahl derjenigen, die die Petition zeichnen, völlig egal, der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages bearbeite jede Petition. Gleichwohl gibt es erhöhte Chancen, wenn mehr Menschen, sich einer Bitte anschließen.
Der Rest der Reaktion der Gema zeugt eher von Unfähigkeit im Umgang mit der Öffentlichkeit, man fühle sich missverstanden und sei im übrigen längst den Bitten der Petition voraus. Man trage zum Beispiel durch Spezialtarife und Sondernachlässe gegenüber der Veranstalterseite der Situation Rechnung.
Kritik an der Petition, aber auch Kritik an der Gema
In die gleiche Kerbe schlägt auch der Bayerische Rockintendant Bernd Schweinar. Die Petition hat „leider viel zu viele ‚offene Flanken‘ und ist nicht geeignet, die Situation zwischen Veranstaltern, Autoren und GEMA zu verbessern“ und rechnet einige Beispiele durch, die dies belegen. Schweinar kennt sich aus in dem Regelgestrüpp der Gema und er erwartet dies auch von allen, die Musik mehr als nur als Hobby begreifen: „Wir sprechen hier nicht von Hobbymusikern, die vereinzelt pro Jahr auftreten und ansonsten der Liebhaberei frönen. Für die ist die GEMA absolut uninteressant.“ An der grundsätzlichen Problematik ändert das wenig. Das muss auch Bernd Schweinar eingestehen: „Ich habe eine ganze Reihe von Ordnern hier, wo draufsteht ‚GEMA-Problemfälle‘.“
Nicht jeder Komponist hat die Möglichkeiten und das Durchhaltevermögen, sich durch den Dschungel der Gema hindurchzuwühlen. Das große Heer derjenigen, die sich durch die Gema vertreten lassen, sind eben jene Hobbymusiker – das Salz in der Verwertersuppe, die einen, viele Karteileichen und wirkliche Leichen die anderen.
Übrigens ist es gar nicht so einfach, einen bestehenden Berechtigungsvertrag mit der Gema wieder aufzulösen. Karan, Sängerin, Komponistin und Textdichterin der „Singvögel“ nennt in ihrem Blog eine Dauer von 6 Jahren, für die diese Verträge geschlossen werden. Eintreten geht schnell, austreten nicht! Auch so eine Regelung im Gestrüpp.
Die Gema-Regelungen sind über die Jahre hinweg zu einer undurchschaubaren Gerümpelkammer verkommen. Immer neue Regelungen dienen nur noch dazu, die missbräuchliche Nutzung der Gema, durch einige der „Kreativen“ selbst übrigens, zu unterbinden. Denn für einige schwarze Schafe der Branche ist die Gema ein prima Geschäftsmodell. Darunter leiden die zahlreichen gewöhnlichen Künstler, die das Hauptvolk der etwa 60.000 Berechtigten der Gema darstellen. Da diese innerhalb der Gema ein nur minimales Mitbestimmungsrecht besitzen, wundert man sich wenig, wenn diese dann den Weg über die Mitzeichnung der Petition gehen. Ein „Die Gema sind wir“, wie es Manfred Schoof einmal gegenüber der nmz äußerte, reicht längst nicht aus. Matthias Bäumel vom Jazzclub die Tonne in Dresden findet in diesem Zusammenhang passende Worte und spricht von der Gema als einem „Verhinderungsverein.“
„So, wie es gegenwärtig für die kleineren Jazzclubs läuft, ist die GEMA ein Verhinderungsverein, der Geld aus den kleinen Klubs zieht und damit Spielmöglichkeiten für Musiker verringert. Man gewinnt den Eindruck, dass diese Organisation gut für Popmusiker und für einige gut im Geschäft stehende Jazzmusiker sein mag, aber wirklich schlecht für den einfachen Klubbetrieb und für die Vielzahl der durchs Land tingelnden “kleinen” Musiker.“
Wundersame Geldvermehrung
Natürlich wundern sich einige Komponisten, wenn Veranstalter mehr Geld an die Gema abführen müssen, als der Künstler später dann in der Hand hält; aber so ein Spezialfall ist es, dass es auch anders sein kann. Wenn Komponist und Veranstalter in einer Person fungieren, vor fiktiven Publikum spielen, lauter Uraufführungen zumal und noch einige andere Bedingungen erfüllt sind, kann man sich selbst musikalisch mit positiven Ergebnis melken.
Zurück zum Anliegen der Petition. Der Initiatorin der Petition, Monika Bestle von der der Sonthofener Kulturwerkstatt schwebt eine rigorose Vereinfachung vor. Weg mit den Spezialtarifen und Sondernachlässen: „Gleiches Recht für alle“ schreibt sie in einem Interview mit dem Basic Thinking Blog. Ob diese Vereinfachung die erhoffte Gerechtigkeit bringt, scheint jedoch zweifelhaft. Allerdings reicht das Erwecken des Anscheins einer gerechteren Verteilungsmöglichkeit aus, um zahlreiche Menschen zu mobilisieren.
Gleiches Recht in der Kunst erzeugt Unrecht
Das Problem liegt wirklich in der Differenzierungsdichte von Regelungen im künstlerischen Bereich. Ein Blockflötenstück, ein Kinderlied, ein Popsong, ein Jazzthema, ein Streichquartett, ein Multimedia-Stück, ein Chanson, ein Klingelton: all das steht nebeneinander; kann man es über einen Kamm scheren? Will man es? Till Kreutzer schlägt im Zusammenhang mit dem Urheberrecht, hier als ähnlichem System genommen, vor, eben die Dinge zu differenzieren: Software, Rechtsanwaltsaufsätze, Romane, Symphonien, Techno-Musik, Enzyklopädien und Datenbanken. (Siehe Till Kreutzer: Das Modell des deutschen Urheberrechts, Baden-Baden 2008, S. 398) Für all das gilt gleichermaßen der Urheberrecht. In dieser Beziehung wäre ein „Gleiches Recht für alle“ bei der Gema eher ein Rückschritt mit schwer einzuschätzenden Folgen – und eine neue Tür für eine missbräuchliche Nutzung dieser Verwertungsgesellschaft.
Zumal der Ruf der Gema in der weiten Öffentlichkeit seit Jahren ramponiert ist. Dass die Petitionszeichner dem freien Spiel der Märkte offenbar mehr trauen, als der überbürokratisch und hermetisch undurchschaubaren Organisation Gema, zeigt vielleicht am deutlichsten, wie verzweifelt die Lage für die Betroffenen ist.
Geht die Petition ins Leere?
Für den kultur- und medienpolitischen Sprecher der CDU–CSU-Fraktion, Wolfgang Börnsen, läuft die Petition ohnehin ins Leere. In einem Brief an die Mitglieder seiner Fraktion vom 29. Juni 2009 stellt er lapidar fest:
„Hierzu muss man wissen, dass der Deutsche Bundestag nur eingeschränkt der richtige Adressat dieser Petition ist. Etwaige tarifliche Korrekturen obliegen der GEMA selbst. Kontrolliert wird sie durch das Deutsche Patent- und Markenamt als Aufsichtsbehörde, das dem BMJ nachgeordnet ist. Das derzeitige Tarifwerk der GEMA entspricht dem legitimen Bedürfnis und Erfordernis der Einzelfallgerechtigkeit; dies macht es mit einer Vielzahl von Tarifen und Nachlässen für bestimmte Betroffene jedoch sehr komplex.“
Das kann man nicht anders interpretieren als ein Eingeständnis des Totalversagens von Politik. Gema unantastbar! Öffentliche Beteiligung nicht erwünscht. Das mag das Geschäft der Politik heute sein. Schließlich hatte auch die Petition gegen die Internetsperren zwar viel Zuspruch, aber leider keinen Erfolg.
Gema voller Probleme
Dabei hat die Gema auch sonst genug Probleme zu bewältigen. Noch immer sind die Lizenzverhandlungen mit der Videoplattform YouTube nicht gelöst. Ein Cent pro Videodownload ist das dem diese Plattform betreibende Unternehmen offenbar nicht wert. Googles Geiz zahlt sich aus, freilich nicht für die Kreativen. Beim gerade ergangenen Urteil des Landgerichts Hamburg gegen den Sharehosting-Dienst Rapidshare jubelte der Gema-Vorstandschef Harald Heker: „Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg ist ein Meilenstein im Kampf der GEMA gegen die illegale Nutzung von Musikwerken im Internet.“ Freilich ist auch hier das Ende des Verfahrens, welches mit einstweiligen Verfügungen gegen Rapidshare im Januar 2007 seinen Anfang nahm, nicht abzusehen. Dass sich einige der Gema-Gegner lieber mit Unternehmen solidarisch erklären, die Lücken im Lizenzsystem zu ihrem Geschäftsmodell machen, verwundert da schon sehr.
In der Perspektive
Das Geschäftsmodell „Musik“ oder allgemeiner „Urheberrecht“ wird langsam aber sicher zu einem Kontrollrecht über Kreative, Verwerter und Konsumenten. Selbst Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, scheint begriffen zu haben, dass das Urheberrecht „vor einer tiefer greifenden Reform“ steht, „das mögen die alten Kämpen bedauern und einige auch fürchten. Die große Reform des Urheberrechtes wird aber trotzdem kommen, weil ohne sie die Kulturmärkte nicht überleben werden“, schreibt er im Editorial der aktuellen Ausgabe von Politik & Kultur.
Kennt Kunst keine Gerechtigkeit?
Zuerst erschienen in nmz 2009/07.