Heute kam ein Paket mit Büchern an. Aus einem Antiquariat in Herzberg (Mark). Ich legte mir die Bücher alle auf den Tisch: Eines über Strawinsky von Michail Druskin, eines von Dessau mit Notizen zu Noten, eines von Frank Schneider mit politischen Portraits großer Komponisten und als Traumbuch, Attila Jozsef: Gedichte in Übersetzungen von unter anderem Ernst Jandl, Franz Fühmann, Peter Hacks, Stephan Hermlin, Heinz Kahlau …
Aber dann habe ich vor allem mit Schneiders Buch angefangen. 1988 veröffentlicht in der DDR bei Reclam, hervorgegangen aus einer Rundfunksache auf DDR2, damaliger Redakteur Klaus Richter, später Stefan Amzoll. Man, was für Zeiten. Schneider stellt sich die Frage, was an Musik denn so politisch ist und greift seine Vorgänger aus den 70er Jahren in der offiziellen Kunstauffassungen der Zeit an. Allerdings sei dies mehr behauptet worden als je untersucht. Alle für die Arbeiterklasse und sozialistisch und wer nicht, der war eben nicht okay.
„Unter der Prämisse, daß viele Komponisten dieser Forderung [soziales Engagement nach den Maßstäben des sozialistischen Realismus; MH] entsprechen wollten, bescheinigte die Musikwissenschaft kurzerhand und bereitwilligst gelungene Erfüllungen, ohne sich allzu viele Skupel über die Exaktheit der Methoden und die Stichhaltigkeit der Argumente zuzulegen.“[ref]Frank Schneider: Welt, was frag ich nach dir? Politische Portraits großer Komponisten, Leipzig 1988, S. 8.[/ref]
Schneider argumentiert sehr klug, schreibt sehr elegant ohne Allüren. Sehr angenehm zu lesen und man lernt nebenbei noch etwas. Und damit sind wir gleich beim Thema.
So ein Buch, so ein Buch. So ein Buch! So ein Buch ist eigentlich nichts anderes als eine Form künstlicher Intelligenz.
Was man vom Klappentext bei Jozsef nicht sagen kann. Steht dort:
„In die Literaturgeschichte ist er in erster Linie als Kämpfer der Arbeiterbewegung eingegangen, denn kein anderer schrieb so viele, so gewaltige Propaganda-Gedichte wie er …“
Das könnte man zur Not von wenigen behaupten. Die, die sich um die Arbeiter im Tone der neuen Heroen äußern, sind eher selten. Aus einem mag ich nun zitieren:
Der Mond kommt wie ein Spitzel, weiß und dicklich.
Wer kotzt. ein Kerl muß schnell ins Puff. Der Bauch
der müden Vorstadtnacht hängt sternenpicklig
aus dem verdreckten Covercoat aus Rauch.
Wir selber pennen. Da steigt nichts zum Himmel
als unsres Schnarchens öde Resonanz.
Auf feuchte Wände malt sehr klar der Schimmel
die Grenzen des Proletenvaterlands.Ja so, so sind die Arbeiter, Genossen.
So ist die Klasse, die die Fahne trägt,
mit deren Los der Menschheit Los beschlossen,
und deren Not in aller Sieg umschlägt.
Denn auf dem mächtigen Fließband der Geschichte
montiern sie ihre kühn entworfne Welt,
in der ihr Stern mit nelkemrotem Lichte
die alte Feindin, die Fabrik, erhellt.(Attila Jozsef, Arbeiter, Schluss (1931), Übersetzung Peter Hacks)
Ein Buch ist artifizielle Intelligenz. Denn eigentlich sind es doch nur Flecken-Zeichen auf Papier. Ich hatte schon lange nicht mehr das Gefühl beim Erwerb eines Buches, mir eine frohe und gute Sache anzutun. Bei Neubüchern ist das irgenwie auch anders. Nur die alten Büchern, bei denen man das Gefühl, es mit etwas Verschwindendem und zugleich doch Bleibenden (weil es noch nicht verschwunden ist), da kommen Gefühle auf, die mehr sind als Lust und Laune, als Aktualität und Flüchtigkeit. Ist wohl auch ein bisschen so beim Auflegen einer Schallplatte.