Auch die Nutzung der „klassischen Musik“ im Rundfunk hat sich unter dem Einfluss und der Verbreitung des Internets verändert. Während man früher das Radio einschaltete, um sich über Kultur zu informieren und Musik zu hören, später sich davon tagesbegleiten zu lassen, reicht es heute nicht einfach aus, das Rundfunkangebot durch einen Stream nur zu doppeln. Musikhören über das Internet statt das Radio einzuschalten, ist immer noch nicht der Normalfall für den Radiohörer. Das Netz bietet andere Vorteile, aber welche sind das? Und wie verhalten sich die Klassikhüter der Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten? Eine Suche nach Potenzialen und Defiziten.
Die Situation der Musik im Netz hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Seit einiger Zeit kann man mit Hilfe der diversen Streamingdienste Musik jederzeit anhören, ein großes Repertoire steht dafür zur Verfügung mit einigen wesentlichen Lücken wie bei Plattenfirmen und Künstlern, die sich dem Streaming verweigern oder wie bei Aufnahmen, die gar nicht ins Repertoire übernommen worden sind. Für den Klassikbereich gibt es da insbesondere das Startup Idagio (siehe nmz-Ausgabe 9/15 und den Beitrag von Philipp Krechlak auf Seite 21). Andere privatwirtschaftlich operierende Online-Plattformen stellen hingegen sogenannte „Radiostationen“ zur Verfügung, teilweise ganz reale, die man über das Netz empfangen kann (wie die Klassikwellen anderer Länder) oder aber auch beispielsweise nach „Mood“ oder Genre sortierte Angebote kuratierter Musik. Neben all dem findet sich auch der akustische Teil von YouTube – für viele immer noch die erste Anlaufstelle.
Musikalische Verfügbarkeit
Fast alles steht fast überall zur Verfügung. Aber das ist nicht Rundfunk wie wir ihn von Seiten unserer Kultur- und Klassikwellen kennen. Der „Rundfunk“ stellt neben der Musikabspieltätigkeit vor allem mit qualitativer Moderation und Kommentierung ein grundsätzlich anders strukturiertes Medium dar. Mittels aufwendig produzierter Features, Liveaufnahmen, Diskussionsformaten et cetera wird Musik „gemacht“ – nicht selten wird das Radio selbst als Veranstalter tätig. Jeder, der eine halbwegs vernünftig gestaltete Welle anhört, wird das wohltuend bemerken. Man bildet sich im Vorrübergehen. Das Internet böte sich insbesondere dafür an, auf diese besonderen Radioereignisse immer wieder zugreifen zu können. Zumindest theoretisch: nämlich über Mediatheken.
Und warum nur theoretisch? Weil dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk da die Hände gebunden sind. Die Vorhaltezeit von Sendungen zum Nachhören ist durch medienrechtliche Vorgaben begrenzt. Bei einer Sendung wie dem mittlerweile vom Bayerischen Rundfunk eingestampften Musikmagazin „taktlos“ betrug diese Vorhaltezeit eine Woche. Zugleich konnte sie nur gestreamt werden, also nicht wie bei einem Podcast heruntergeladen werden, anders als der Partner des Bayerischen Rundfunks, die nmz, die das taktlos-Archiv dauerhaft vorhalten kann. So hört man vor den Podcasts des Hessischen Rundfunks die Ansage: „Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir aus urheberrechtlichen Gründen Musiken, die in der Sendung gespielt wurden, in dem nun folgenden Podcastangebot, ausblenden müssen.“ Beim Podcastangebot von NDR kultur wird die Musik sogar bei einer Sendung wie „Klassik à la carte“, wo man sich über Musik unterhält, herausgelöscht. Damit lässt sich schwerlich punkten.
Begrenzung des Angebots
Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind die Hände gebunden, denn er soll privaten Anbietern nicht in die Quere kommen, insbesondere bei sogenannten „presseähnlichen“ Erzeugnissen. Ein Drei-Stufen-Test, den öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten durchlaufen müssen, soll das sicherstellen – wie weit dieser Test das tatsächlich leistet, steht auf einem anderen Blatt. Sieht man sich jetzt die Rundfunkanstalten gerade unter diesem Aspekt im Netz an, könnten einem da nämlich Zweifel kommen. An sich ist die Begrenzung nämlich sehr simpel. Es soll nur das ins Netz dürfen, was auch im Radio ist. Ein Sendungsbezug ist vorgeschrieben („nicht sendungsbezogene presseähnliche Angebote sind nicht zulässig; § 11 d Abs. 2 Nr. 3 Hs. 3 RStV).
Zur Situation
Bis auf BR-Klassik des Bayerischen Rundfunks und SWR-Classic als Sonderabteilung aus dem Programm von SWR2 (Südwestrundfunk) sind die Aktivitäten der anderen Wellen eingebettet in das Profil der Kulturwellen, die eben auch Kulturpolitik, Hörspiel, Politik, Literatur, Religion und anderes mehr bedienen. Sie haben kein eigenständiges Musik-Bild. Als schlechtes Beispiel für andere soll das Webangebot von hr2-kultur (der Kulturwelle des Hessischen Rundfunks) dienen.
hr2-kultur
Dieses Webangebot bietet sich gerade noch an (man darf ein Re-Design noch in diesem Jahr erwarten – optisch ist man einige Jahre hinter der Zeit, technisch ist man noch nicht in der mobilen-Zeit angekommen, aber man hat eine „App“, die übrigens besser gestaltet ist als das Internetangebot). Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, denn man findet sich auf Anhieb nicht zurecht. Die Seite kommt bestenfalls wie eine Programmbroschüre daher, mal das eine, mal das andere im Fokus. Links zu Sinfonieorchester oder BigBand sind in einem Menü über der Seite ausgelagert (oder in einem Kästchen in der rechten Spalte, irgendwo unten). Was kann man da machen, außer: die Seite verlassen. Es gibt zwar ein Podcast-Archiv, aber in dem ist aus dem Musikbereich gar nichts abrufbar, eine Sackgasse. Was immer man macht, man hat Pech. Da schaltet man besser gleich das Radio an. Der Claim „Bleiben Sie neugierig“ wirkt in dem Zusammenhang absurd, es bleibt einem ja nichts anderes übrig. Wer lernen möchte, wie man geschickt Kommunikation verweigert, der besuche diese Seite, die von Social Media auch noch nicht so viel gehört haben dürfte: www.hr-online.de/website/radio/hr2. Symptomatisch nicht zuletzt, dass der Hessische Rundfunk zur Zeit nicht einmal eine gemeinsame zentrale Internetadresse hat, hr-online.de leitet weiter zu hessenschau.de (dabei hätte man sogar die kostbare Adresse hr.de).
BR-Klassik
Vom anderen Ende her denkt das Internet die Redaktion von BR-Klassik. Sie befindet sich in der „glücklichen“ Lage, sich nicht in ein allgemeines Kulturprogramm einfügen zu müssen. Eine Chance, die man auch bei SWR für das Internet erkannt hat (www.swr.de/swr-classic) und für seine Musikeinrichtungen eine eigene Plattform aufgebaut hat. Doch zurück zum Bayerischen Rundfunk: Man hat sich dort vor gut anderthalb Jahren neu aufgestellt. Das fängt schon im Hintergrund an, indem man im eigenen Podcast-Angebot auch Beiträge mit Musik führt (hier offenbar ohne rechtliche Probleme – die großen Musikfeatures fehlen trotzdem). Und es endet weit vorne mit den Präsenzen auf Facebook (fast 46.000 Seitenabonnenten) und Twitter (knapp 3.700 Follower) – und beide Präsenzen werden auch in akzeptabler Weise betreut; nämlich nicht für bloße Eigenwerbung, sondern als Kommunikations- und Newskanäle. Das Informationsangebot ist auf Musik fokussiert, es gibt Kritiken über Veranstaltungen in Bayern und über Bayern hinaus. Unter „Meinung“ finden sich auch kontroverse Äußerungen zum Musikleben im Speziellen und Allgemeinen. Damit wird das Angebot aber grenzwertig in ganz anderer Hinsicht. Teilweise kann ein Sendungsbezug zwischen Webangebot und Radio gar nicht hergestellt werden. All diese Punkte sind im Vorfeld der Umgestaltung der Online-Aktivitäten von BR-Klassik von verschiedenen Verbänden kritisiert worden. Die Sache ist rechtlich nach wie vor umstritten, aber entschieden. Man macht einfach.
Summa
Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten kochen jeweils ihr eigenes Süppchen. Auf der Suche nach interessanten Musik-Features beispielsweise muss man sich durch sämtliche Angebote klicken, um am Ende dann festzustellen, dass sie nachträglich so gut wie nie abrufbar, also nachzuhören sind, sofern man überhaupt fündig wird. Da liegt ein großes Potenzial des gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunks brach. Was umso bedauerlicher erscheint, als damit die journalistischen Diamanten nachträglich unerschließbar sind. Eine gemeinsame Mediathek wie bei den Videoangeboten der ARD-Anstalten und des ZDF oder ARTE fehlt leider. Der aktuelle Fokus liegt deutlicher im Aufbau schneller Informationen, dem Ausbau von trimedialen Angeboten und der Kommunikation über soziale Medien. Darüber scheint man Kapazitäten für die Entwicklung redaktioneller Arbeit zu verlieren.
Das bestätigt auch die Antwort der Pressestelle des Bayerischen Rundfunks auf Anfrage: „Für die neue Online-Plattform www.br-klassik.de wurden keine neuen Stellen geschaffen und auch keine Stellen aus anderen Redaktionen transferiert. Die Entwicklung und Betreuung wurde und wird mit dem bestehenden Team durch redaktionelle Umorganisation und redaktionsinterne Stellenverschiebungen gestemmt.“ Die gleiche Mannschaft muss nun einfach zusätzlich das Webangebot füllen. Auf der anderen Seite sind die Angebote teilweise in technischer Hinsicht „vorsintflutlich“ (hr2-kultur).
Die Frage stellt sich, wohin will man eigentlich? Musikhören kann man längst im Netz auf vielfältige und auch durchaus kuratierte Weise. Berichterstattung zu Konzerten und zum Musikleben leisten in wesentlichem Umfang auch die privaten Presseorgane in Print und Online. Die Alleinstellungsmerkmale des Kulturfunks wie die Abbildung kultur- oder musikpolitischer Diskussionen oder Musikfeatures bleiben weitgehend aus angeblich urheberrechtlichen Gründen unerschlossen. Man ist gefangen zwischen medienrechtlichen Vorgaben und der Nichtrealisierung der je eigenen Potenziale.
Zuerst erschienen in nmz 2017/02