Bis Mitte November hat sich das CD-Label ECM aus München geweigert, Musik aus seinem Katalog, der bekannte Namen wie Keith Jarrett, Pat Metheny, Chick Corea, Arvo Pärt … beinhaltet, über Musikstreamingdienste anzubieten. Ein Grund war sicher der, dass man sich über den Verkauf von physischen Tonträgern wie CDs größere Einnahmen für das Label und die Künstler versprochen hat. Ein anderer, dass man das Musikerleben im Stream als künstlerische Abwertung empfindet. Widerstand gegen ein Diktat dieser Technologieumwälzung mochte ein weiterer Grund gewesen sein.
Das hat sich geändert. Nach dem Motto: „Es ist besser, einen Stream zu verkaufen als keine CD.“ Am Ende macht es schließlich die Masse. So funktioniert heute (un-)soziale Musikwirtschaft. Für beliebte Künstler mit großer Reichweite geht die Rechnung auch längst auf. Für den Rest leider eben nicht. Widerstand ist, ökonomisch gesehen, trotzdem zwecklos – wer sich weigert, muss ein weltfremder Träumer sein. Das ist eben die normative Kraft des Faktischen. Im schlimmsten Fall wird diese Entwicklung mit dem Begriff der Realisierung des wirklich gerechten Wettbewerbs verbrämt. Absatz geht vor Anspruch, Anspruch macht arm. Solche Prozesse muss man sich wohl vorstellen, wenn Politikerinnen von „Digitalisierung“ der Gesellschaft sprechen.
Es gab mal eine Zeit – die sicher nicht einfacher war – wo man sich Gedanken darüber machte, in welcher Gesellschaft man „gut und gerne“ leben möchte. Heute hat das bloße Denken in Kategorien der Ökonomie davon befreit. Unterordnung und Anpassung geben die Richtung vor. Im Lutherjahr sollte man sich besser an Kant erinnern: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen (naturaliter majorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen.“ Zumindest, solange der Strom aus der Steckdose kommt.