Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland hat es in den letzten Jahren nicht leicht gehabt. Seit Umstellung der GEZ-Gebühr auf den Rundfunkbeitrag ist potentiell mehr Geld in der Verteilungsmasse. Diese Einnahmen werden aber natürlich nicht einfach an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgeschüttet. Abgerufen werden kann nur das, was man beantragt hat und was die KEF (die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs) als notwendig erachtet. Selten hat ein so positives Ergebnis so viel Trauer ausgelöst.
Das Geld liegt wie die Wurst vor der Nase, aber man kommt nicht heran. Doch welches Bild vermitteln uns die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, vor allem die ARD? Der Rundfunkbeitrag müsse steigen. Weil eigentlich zu viel Geld in der Kasse ist? Das verstehe wer will. Man erinnere sich: Als sich vor Jahren der Intendant des SWR, Peter Boudgoust, für die Zusammenlegung der Rundfunkorchester in seinem Sendegebiet stark machte, begründete er es damit, dass zu erwarten sei, dass das Aufkommen aus den Einnahmen des Rundfunkbeitrags sinken werde. Man könne sich keine zwei professionellen Orchester leisten. Schon damals war seine Prognose falsch und das war ihm auch bald bewusst, ein Umdenken gab es in der Sache freilich nicht. Den Salat hat man jetzt – eine Orchesterfusion mehr, ein Stück Vielfalt weniger. Dem neuen Orchester und seinen Musikerinnen ist dennoch natürlich eine gute Entwicklung zu wünschen.
Aktuell eine ähnliche Situation: Nach wie vor kommt mehr rein, als man seitens der ARD denkt. Der jetzige ARD-Vorsitzende und aktuelle Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, spielt aber schon wieder die Fehlbetragskarte und befürchtet: „Künftige Beitragseinnahmen lassen sich im Unterschied zu Aufwendungen im Vorfeld nur schwer schätzen.“ Gehen wir also vom Schlimmsten aus, ignorieren wir unabhängig erhobene Daten, denn Fakten würden jetzt nur verstören. Die ARD-Intendanten sind nämlich in Prognosen echt wirklich gut. Das bewies der Bayerische Rundfunk erst kürzlich, als er den Wellentausch von BR-KLASSIK und PULS quasi in letzter Sekunde rückgängig machte: BR-KLASSIK bleibt daher auch seit dem 1. Januar 2018 über UKW empfangbar. Für diese späte Einsicht sind viele UKW-Hörerinnen dankbar. Zur Erinnerung: In einer Petition aus dem Jahr 2014 hatten die Gegner des Wellentauschs dies längst vorausgesehen: „Hier soll die klassische Klientel auf das Netz verlegt werden, während die Jugend, die sich ohnehin quasi naturgemäß im Internet aufhält, für den aus ihrer Sicht gänzlich veralteten UKW-Konsum erst mühsam und mit äußerst geringen Erfolgsaussichten zurückgewonnen werden müsste.“ Damit war man klüger als Rundfunkrat und Intendanz zusammen, die zu dieser Erkenntnis eben drei Jahre länger benötigten.
Das ist ja das Dilemma: Die Intendanten und Rundfunkräte der ARD haben die Bodenhaftung verloren. Sie entscheiden nach Maßgabe irgendwelcher angeblich professioneller Beratungsunternehmen und damit oft gegen die sicheren Instinkte ihrer (engagierten) Hörerinnen. Damit verlieren sie aber – und das ist das Tragische daran – zugleich die Verfechter eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks an ihrer Seite. Auf die kommt es aber immer mehr an. Die Entwicklungen in Dänemark (es droht eine 12,5- bis 25-prozentige Kürzung des Budgets des öffentlich-rechtlichen Rundfunks) und der Schweiz (Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren – No-Billag-Initiative) sowie die permanenten Angriffe seitens bestimmter Parteien (AfD) und der Zeitungsverleger, bringen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in andauernden Rechtfertigungszwang und setzen sie weiter unter politischen und öffentlichen Druck. Wenn man dann noch seine letzten aktiven Fans vor die Tür setzt, begeht man in der Tat einen dann unbegleiteten Suizid.
Noch bieten die ARD-Anstalten ein einigermaßen existentes Programm für den Bereich Jazz und Neue Musik – aber auch da bricht die Welt langsam ein (im MDR ist Neue Musik im Radio quasi inexistent). Wie freilich eine Rundfunk- und Fernsehwelt allein mit privaten Anbietern und Streamingdiensten aussähe, zeigt zum Beispiel ein Blick in die Jazzrubrik bei Netflix. Jazz gibt es zu knapp 99% in Form von Bildschirmschonern mit Landschaftsbildern oder lustigen Tierfilmchen. Das kann man nicht wollen. Intendanten der ARD, hört auf Eure besten Hörerinnen, lasst eure besten Redakteurinnen gutes Radio und Fernsehen machen.
Zuerst erschienen in der nmz 2018/03