Es gibt ja momentan fast nichts, was nicht zum Konzertraum erklärbar wäre. Festivals finden in Turnhallen statt, Hallvernarrte gehen in die Kanalisation – und manche, man mag es kaum glauben, sogar noch in Konzertsäle. In der Tat, der Ton interessiert sich nicht in erster Linie für seine Umgebung, obwohl er erst durch sie in Wirklichkeit zur Formulierung reift. In Berlin finden jetzt sechs „Konzerte“ statt, die in Hotels der Stadt ihre Klangaufgabe erfüllen. Das Solistensemble Kaleidoskop und Mark Barden bespielten jetzt zum Auftakt das Westin Grand Hotel am 19. Juni von 19 bis 23 Uhr.
Hotelbars sind Orte abendlichen Menschenverkehrs, Orte von Kommunikation und Repräsentation. Das Westin Grand Hotel in Berlin Mitte (direkt neben der Komischen Oper) ist ein besonderer Fall. Noch zu DDR-Zeiten als Transit-Hotel fertiggestellt, erstaunt es durch sein siebenstöckiges, oktagonales Rund im Atrium-Bereich – eine Verschwendung von Raum ohne gleichen. Und noch heute wirkt es ein bisschen wie ein König in Arbeiterkleidung – unzweckmäßig-imposant; charmant wäre etwas hochgegriffen; es erzeugt den Eindruck von miniaturisierter Erhabenheit. In diesen immensen widersprüchlichen architektonischen Zusammenhang wurde für einen Abend Musik auf Transit geschickt.
Die Musikerinnen des Solistenensembles Kaleidoskop waren, betrat man das Gebäude, irgendwie zu hören, doch von unten unsichtbar. Sie spielten im siebten Stockwerk. Ebenso ungenau war von unten zu erkennen, was sie denn spielten. Nur klang es mal mehr, mal weniger zusammen, ein bisschen wie: „Die üben da was“. Das musikalische Material setzte sich aus verschiedenen Materialien zusammen, mit dabei jedenfalls die Goldberg-Variationen von Johann Sebastian Bach. Hier tönte er wie abgeblättert, verlangsamt, parallel mit sich selbst wohl auch, aber verschoben. Unten im Atrium setzte sich gelegentlich der Komponist Mark Barden an den Flügel (später auch im ersten Stock) und spielte wohl eigenes, leises, durchlüftetes Material und Werke von fremder Hand. Chopin wohl, Bach, Fischer … dies dann in arg verlangsamtem Tempo. Da musste man schon mental ordentlich am Ball bleiben, wollte man hörend folgen. Oder schaltete ab, was ja auch eine Möglichkeit der Reaktion ist. Wohlgemerkt: drum herum und mittendrin die ganz gewöhnliche Geschäftigkeit des Hotelbetriebs an einem Dienstagabend.
Immer „Viertel vor Ganz“ stieß noch eine Person hinzu, die die große Treppe hinabschritt, eine nach Münzeinwurf klingende und leuchtende Hand-Jukebox aktivierte oder aktivieren ließ, dazu unter anderem ein paar Bewegungen mittels Körperdrehung und Armwurfs vollführte und etwas später wieder entschwand.
Tröpfelnder Klangteppich
Das alles stört nicht und doch stört es auch nicht nicht. Das Hotelpublikum nahm jedenfalls keine merkliche Notiz, die sich durch Ablehnungs- oder Zustimmungslaute geäußert hätte. Der tröpfelnde Klangteppich war doch so lose gewebt, dass es mitunter schwergefallen konnte, dem nachhörend Folge zu leisten. Der musikalische Puls glich sich dem des Atriums eingliedernd an. Kleinteilig klangteilend. Es säuselte an der Grenze zwischen Akzidenz und Störung. Und so wandelte sich der Hotelraum in eine musikalisch/akustisch-museale Skulptur – ohne allerdings den Raum komplett zu ergreifen. Das war vielleicht weniger entschleunigend, wie es die Macher sich wünschten, denn gehemmt. Da mochte man auf einen musikalischen Ein- oder Durchbruch warten. So etwas fand tatsächlich während meiner Anwesenheit zwischen 19:30 und 21:00 einmal statt: Da setzen die Ensemblemitglieder von Kaleidoskop ihre Stimmen ein. Schwer zu sagen, was da klang (es sollen die Namen von prominenten Hotelgästen gewesen sein, wie mir Bastian Zimmermann, der künstlerische Leiter und Dramaturg der sechsteiligen Reihe „Music For Hotelbars“ erklärte). Augenblicklich senkte sich jedenfalls der Geräuschpegel im Hotel deutlich. So wie man in einem Rauschen plötzlich sprachähnliche Laute hört und sie „verstehen“ möchte.
Zurück zum Anfang: Ist hier tatsächlich ein Hotelraum zum Konzertsaal erklärt worden? Eigentlich nicht. Denn es war ja auch kein Konzert, so wie auch eine Muzakbeschallungsanlage nicht den Supermarkt zum Konzertraum macht. Gleichwohl handelte es sich nicht um ein nichtartifizielles Unternehmen: Im Gegenteil, das war es hochgradig, die eingesetzte Sozialklangverarbeitungstechnologie (musikalische Decollagen, Verlangsamung, Performace-Einsprengsel) war nicht überseh- und unterhörbar. Dadurch blieb die Sache innerhalb der achteckigen Luftsäule des Hotels fremd – besetzte den Raum akustisch nur peripher, ja, sie rahmte den Raum nicht einmal merklich ein. In diesem Indifferenzbereich hat man es nicht leicht, sich dazu zu verhalten. Also zurückzukommunzieren (hörend oder wie auch immer). Das stellt sich für die Besucher der Veranstaltung anders dar als für die Hotelgäste selbst. Kann man dem gerecht werden?
Versuchsanordnung vs. Experiment
Zur Idee der „Music For Hotel Bars“ äußern sich die Macher folgendermaßen: „Um eine Musik für Hotelbars zu entwickeln, zu komponieren, müssen die Komponist*innen oder Musiker*innen bereit sein, sich zurückzunehmen. Es geht nicht um das Zeigen der eigenen Fähigkeiten im virtuosen Sinne, sondern um das subtile Spiel mit der Aufmerksamkeit. Die Aufführungen finden im regulären Betrieb des Hotels statt, so dass sich zwischen den für die Veranstaltung eingefundenen Gästen auch Hotelgäste mischen. Es gilt, sie nicht zu verschrecken, sondern bestenfalls mit der Musik und den Happenings auf ein neues Level der Wahrnehmung zu führen.“ Sicher? Ob das gelang, dürfte eine offene Frage sein. Die Mischung zwischen gewolltem Besuch der Veranstaltung und dem Auftreffen auf „normale“ Hotelbenutzerinnen dürfte schwerlich zu bewerkstelligen sein. Der ideologische Verdacht, dass für die Veranstaltungsbesucher die Musik zur sozialen Situation hinzutritt, macht sie zu Komplizen der musikalischen Dramaturgie und die Sache zu einem sozialen Versuchsaufbau, der über das Wagnis des musikalischen Experiments hinausgeht. Das Spiel mit solcherlei unbekannten Parametern ist letztlich unbeherrschbar.
Aber man muss ja auch nicht immer alles erklären wollen. Man kann sich auch einfach einen Signature-Drink genehmigen.
Im Übrigen ist es immer schon eine gute Idee gewesen, Musik arg verlangsamt zu hören. Die Informationen, die die Musik dabei aussendet werden nämlich erstaunlicherweise nicht weniger, sondern mehr.
Nächste Spielstätten der Reihe
- 25.09.2018, ab 19 Uhr – Hotel Bristol – Anna Jandt
- 06.11.2018, ab 19 Uhr – The Ritz-Carlton – Neo Hülcker
- 18.12.2018, ab 18 Uhr – Waldorf Astoria – Martin Hiendl
- 15.01.2019, ab 19 Uhr – The Stue – Leo Hofmann
- 26.02.2019, ab 20 Uhr – Concorde Hotel am Studio – Genoël von Lilienstern
https://www.musicforhotelbars.com/
Zuerst erschienen in nmz-online am 21. Juni 2018