„Der Musikgeschmack unserer Zielgruppen ist so ausdifferenziert beziehungsweise unterschiedlich, dass das Repertoire eine breite Grundlage bilden muss, die im Tagesprogramm keine Abschaltfaktoren enthalten darf. Abschaltfaktoren sind etwa Schlager, Balkan-Pop, Klassik.“ So steht es nach Kenntnis des Online-Musikmagazins VAN in dem „Handbuch Stilistik“ des Deutschlandfunks. Großartig. Ist das jetzt die Trendwende Klassik, von der so viel gesprochen wird? Oder nur ein aus der hohlen Hand gezauberter Einwand. Wahrscheinlich sehen es die Kolleginnen vom KlassikRadio geradewegs umgekehrt. Schätzungsweise gelten dort die Wortbeiträge als Abschaltfaktoren. Die Frage bleibt, wohin soll sich Radiokultur entwickeln?
In den Nuller-Jahren machte ja die Rede von der Durchhörbarkeit des Radioprogramms die Runde, gefolgt von der Umformung eines Kulturradios zum Tagesbegleitprogramm. Beschaut man sich die kommenden Änderungen der Jazzstrecke beim WDR (siehe nmz 3/2019), so trifft es nun wohl auch in Teilen den Restrundfunk. Es soll moderierten und kuratierten Playlists der Vorzug vor Autorinnensendungen gegeben werden. Sägen damit die öffentlich-rechtlichen Radiostationen aber nicht am Ende am eigenen Ast? Können das nicht andere besser gewährleisten? Spotify zum Beispiel?
Die Entwicklung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk zeugt von der Angst, die Hörenden könnten den Sendeplatz wechseln, sie haben Angst vor dem Abschaltfaktor. Das ist alles defensiv gedacht, statt zu überlegen, was denn Gründe sein könnten dafür, dass man Radio hören können will. Unterforderung des Publikums ist die Folge. Fast Food ersetzt sorgfältig recherchierte und komponierte Informationen zur Steigerung des menschlichen Unterscheidungsvermögens. Daran fehlt es nämlich immer in dieser Welt. Vor allem in der sogenannten Welt der sozialen Medien, bei denen Wissen im 240-Zeichen-Takt (wie bei Twitter) auf Parolen zusammengeschrumpft wird. Vorsicht also vor dem Bumerang-Effekt, sonst wird aus der Angst vor Abschaltmusik und Abschaltsendungen der Ruf laut(er) nach einem Abschaltrundfunk. Das wäre fatal. Man kann dem Rundfunk nur, frei nach Kant, ins Stammbuch schreiben:
„Habe den Mut, dich deiner Autorinnen zu bedienen.“