Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine ureigenen Qualitäten wegplant
In den letzten Jahren war insgesamt wenig Positives zu vermelden, wenn über den internen Zustand im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der nmz zu berichten war. Es sei erinnert an die Fusion der Rundfunkorchester beim SWR, an die geplante und dann wieder verworfene Ver- und Abschiebung von BR-KLASSIK ins Digitalradio DAB+, an die Umgestaltung der Jazzformate beim WDR. Glaubt man den Rundfunkmacherinnen, dann ging es immer darum, den Rundfunk – und hier genauer: die Kulturwellen – in die Zukunft zu führen, sie zukunftssicher zu machen. Genauer besehen geht es aber fast immer nur darum, Etat-Kürzungen der Wellen als Kulturmaximierungen zu verkaufen.
Aktuell sind davon zwei Wellen betroffen: Der Hessische Rundfunk mit seinem Programm auf hr2-kultur und das Radio Berlin Brandenburg (rbb) mit seiner erst dieses Jahr umbenannten Welle rbbKultur.
Entwortung I
rbb-Kultur: Hier soll die Welle ab 2021 eine Million Euro einsparen. Das entspricht 20 Prozent des Programmetats. Umgerechnet wären das rund 4.000 journalistische Beiträge „über gesellschaftliche Debatten, über Bildung und Stadtentwicklung, Musik und Film, Theater und Literatur“ wie eine Petition darstellt, die gegen diese Entwicklung unter dem Titel „rbbKultur fördern – nicht kaputtsparen“ mobil macht. Laut Petenten betragen die Einsparungen ab 2021 weniger als ein Prozent des gesamten Programmetats des rbb, treffen aber laut Programmdirektion allein das rbbKultur. „Weit mehr als auf Musik und das künstlerische Wort mit seinen Features und Hörspielen zielen die Sparmaßnahmen auf das journalistische Wort“, konkretisiert bei ver.di Ute C. Bauer das Vorhaben.
Kein Wunder, hat doch der rbb schon in der Vergangenheit sein Musikprogramm nach dem Vorbild des Norddeutschen Rundfunks im Angesicht von fragmentierten musikalischen Werkdarstellungen umgebaut. Der Rundfunk als Diskursmedium, der das Musik- und Kulterleben einer Stadt spiegelt, scheint nach dieser Ansicht ausgedient zu haben.
Entwortung II
hr2-kultur: Mitte Juli sorgte eine Mitteilung des hessischen Rundfunks für deutschlandweiten Aufruhr. Es wurden Pläne veröffentlicht, die Kulturwelle des Hessischen Rundfunks zu einer Klassikwelle zu konvertieren. Und zwar bis zum 1. April 2020. Autoren in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung kommentierten das so: „Nach Darstellung von Christoph Hammerschmidt, Leiter der Kommunikationsabteilung des Senders, bedeutet die Umstellung keine Sparmaßnahme, sondern ist eine Antwort auf den digitalen Wandel in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt, der schwindende Nutzung und Überalterung der Hörer vorgehalten werde.“
Zwei Universal-Argumente werden dabei angeführt, die man auch aus anderen Zusammenhängen (Konzert und Oper) kennt und die auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk an jeder Stelle für alles herhalten müssen: „Überalterung“ und „digitaler Wandel“. Beide Argumente zerfallen aber, sobald man sie anfasst.
Überalterung und digitaler Wandel
Von „Überalterung“ sprechen wir als einem Thema seit mindestens 100 Jahren. Erstaunlicherweise ist die Menschheit dennoch nicht ausgestorben – unbegreiflicherweise gibt es immer wieder Menschen, die älter werden. Und es ist keine Schande, auch für diesen unsterblichen Personenkreis Programm zu machen (selbst bei der „Sendung mit der Maus“ liegt das Durchschnittsalter der Zusehenden übrigens bei 40 Jahren).
Fragt man beispielsweise beim Hessischen Rundfunk nach, ob man sich zu diesem Zwecke einmal darum gekümmert habe, entsprechende Expertisen einzuholen und Verfahrensweisen aus dem Audience Development zu applizieren – so wie man es von anderen Kulturinstitutionen beispielsweise im Bereich der Kultur- und Musikvermittlung kennt – bleiben Antworten aus.
Was man sich unter „digitalem Wandel“ vorzustellen habe, das weiß eigentlich jeder ganz genau, solange man nicht konkret erklären muss, was genau man sich darunter vorzustellen habe. Meistens wird darunter aber gefasst, dass es neben dem klassischen Rundfunk über Antenne, Kabel und Satellit auch so etwas wie das Internet gibt, über das immer mehr Menschen „Rundfunk“ hören.
„Das Internet“ bietet sich an als Zauberformel der Unternehmenskommunikation und wird propagiert als ein bequemes Ausweichmanöver für angeblich unerwünschte Sendungen im Programm, von denen gemutmaßt wird, dass deretwegen die Hörenden das Programm wechseln.
Im Moment boomen da die Podcasts, so dass selbst Marktführer im Musikstreaming wie Apple Music oder Spotify in ihrer Werbung und Gestaltung der Benutzeroberflächen Podcasts zentral hervorheben. Da will man nicht hinterher sein, denn es geht ja um die Zukunft. WDR 3-Programmchef Karl Karst ließ sich beispielsweise in der nmz vom Juni 2019 im Gespräch mit Chefredakteur Andreas Kolb so ein: „In Zukunft wird es vielleicht auch einen WDR 3 Jazz-Podcast geben. Daran arbeiten wir gerade.“
Die neue Situation und Hilflosigkeit wird an Aussagen wie dieser manifest: Statt die Probleme der Gegenwart anzugehen, lässt man sich seine Aktionen von einer Zukunft diktieren, die keiner kennt und die vielleicht auch keiner will? Wo ist nur die Kreativität geblieben, um selbst Schritte in die Zukunft zu unternehmen, weil man sie will und für kultur- und medienpolitisch richtig hält, statt sich von Zukunftsberatungsfirmen mit Analysen zweifelhafter Qualität treiben zu lassen? Mal abgesehen von Zuhörerinnen-Quotenfragen, die für Intendantinnen offenbar immer noch der Goldstandard beim Umgang mit der eigenen Zukunft darstellen. Das macht die rbb-Intendantin Patricia Schlesinger unmissverständlich deutlich, wenn sie über die eigene Kulturwelle sagt: „Das Kulturradio wird vergleichsweise wenig gehört, ist aber eines der teuersten in der ARD. Der Etat [für diese Welle] sinkt demnach um eine Million Euro.“ Wie man mit weniger Investitionen ein Mehr an Zuspruch erreichen will, wird dabei ihr Geheimnis bleiben.
Welche Zukunft wollen wir eigentlich?
Wozu beispielsweise überhaupt noch öffentlich-rechtlichen Rundfunk gestalten, wenn die Zukunft deutliche Anzeichen aufblitzen lässt, dass es diese Medienform bald gar nicht mehr geben könnte – und schon gar nicht in dieser noch vielfältigen Weise. Darauf zielt aktuell nämlich eine Anfrage der FDP im Deutschen Bundestag: „Öffentlich-rechtlicher Rundfunk – Zukunftsfest machen und gesellschaftliche Akzeptanz erhöhen“.
So fordert die FDP in ihrem Antrag die Bundesregierung unter anderem dazu auf, sich bei den Ländern dafür einzusetzen, „dass die Schwerpunktsetzung auf die Programmbestandteile Bildung, Information, Beratung und Kultur mit Sendezeitenvorgaben einhergeht, sodass die Schwerpunkte im Hörfunk und Fernsehen in den Hauptsendezeiten gesendet werden“; oder „dass geprüft wird, ob künftig Rundfunkauftrag und Funktion mit nur einer nationalen Rundfunkanstalt und den regionalen Rundfunkanstalten erfüllt werden können.“ Gerade mit dem letzten wird eine massive Veränderung gewünscht.
Beim Hessischen Rundfunk ergreift man unterdessen die Flucht nach hinten. Der 1. April 2020 steht mittlerweile zur Disposition. „Für die Veränderungsprozesse im Haus gilt Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Daher ist auch kein Termin in Stein gemeißelt“ antwortet die Abteilung Kommunikation des hessischen Rundfunks auf Nachfrage nach dem engen Terminplan zur Realisierung des „neuen“ hr2-kultur. „Denn am Ende des Prozesses wollen wir ein Konzept haben, von dem wir fest überzeugt sind, dass es die notwendigen Weichen für die Zukunft stellt.“ Schön wär’s. Leider läuft der Hase in die andere Richtung: Man lässt sich allenthalben die Weichen von dieser ominösen Zukunft stellen.
Eine 40-köpfige Planungsgruppe, für die man sich per Intranet bewerben konnte, beginnt erst jetzt ihre Tätigkeit, statt, wie zunächst angekündigt, schon im August. Vom Begriff hr2-kultur zu einer „Klassikwelle“ zu wechseln, wie ihn der Hessische Rundfunk anfangs selbst ins Spiel gebracht habe, sei man abgekommen, sagte der leitende HR-Redakteur Alf Mentzer. Ob der Neuplanungsprozess tatsächlich ergebnisoffen geführt wird, daran dürften allerdings Zweifel angebracht sein, wenn man sich die Entwicklung der Kulturprogramme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der letzten 20 Jahre anschaut.
Zuerst erschienen in nmz nmz Ausgabe: 11/2019 – 68. Jahrgang