Nach langem Hin und Her hat sich das Bundeskabinett dazu durchringen können, eine Rente für all jene einzuführen, die zwar ihr Leben lang „gearbeitet“ haben, aber dabei so wenig Lohn oder Gehalt bekommen haben, dass ihre Rentenanwartschaft regelmäßig nicht auskömmlich geblieben ist. Damit soll jetzt ab 2021 Schluss sein.
Das ist eine gute Sache, so fühlt sich ein Sozialstaat an, der dort einspringt, wo der Arbeitsmarkt leider versagt. Denn die Ursache der Misere ist, dass Arbeit und Lohn nicht immer in einer Korrelation stehen, die einer Angemessenheit des „Wertes“ der geleisteten Arbeit entsprechen würde.
Für die mit Kunst befassten Menschen ist das ein bekanntes Phänomen. Nach wie vor gilt hier Applaus als adäquater Gegenwert, oder Blumen oder das berühmt-berüchtigte Lachen in den Gesichtern von Kindern oder das von Älteren oder Kranken beim veranstalteten Gesangsabend oder Konzert im Pflegeheim oder Krankenhaus. All das will man nicht missen und derlei ist obzwar unbezahlbar, so doch zugleich wertlos.
Aus den Erhebungen von Einnahmen, die freie Künstlerinnen und Künstler beispielsweise der Künstlersozialkasse mitteilen, weiß man, was in diesem Bereich verdient wird. Es ist wenig, lächerlich wenig und da die entsprechenden Künstlerinnen und Künstler trotzdem nicht verhungern, scheint es zum Leben gerade so zu reichen. Zum Sterben ist es noch zu viel. Aber sieht man auf das Rentenalter, muss man nicht zu viel mutmaßen, wenn man sagt, es wird dann selbst zum Sterben zu wenig sein. Die Einführung einer Grundrente kommt da gerade im richtigen Moment – sie wäre, ein bisschen wenigstens, ein Zeichen der Wertschätzung dieser Tätigkeiten nach mindestens 33 Jahren der Beteiligung an Zahlungen zur Rentenkasse. So ein bisschen etwas wie eine gesellschaftliche Dividende.
Nur: Das funktioniert leider gerade bei freien Künstlerinnen und Künstlern offenbar nicht wie gewünscht. „Die aktuelle Statistik der Künstlersozialkasse (KSK) weist eine Gruppe von knapp 20.000 Künstler*innen aus, die durch die geplanten Kriterien vom Anspruch auf Grundrente ausgeschlossen sein werden, obwohl sie eine entsprechende Lebensleistung von mindestens 33 Beitragsjahren vorweisen können“, warnt die Allianz der freien Künste, ein Zusammenschluss von 18 Berufsverbänden (darunter der Deutsche Tonkünstlerverband, der Deutsche Komponistenverband, die Deutsche Jazzunion und die Gesellschaft für neue Musik, die Vereinigung Alte Musik, die Deutsche Gesellschaft für Elektroakustische Musik und der Verband Freier Ensembles und Orchester in Deutschland). Weiter heißt es: „Der zur Diskussion stehende Gesetzentwurf sieht vor, dass Beitragsjahre bei der Grundrente nur dann angerechnet werden, wenn die Versicherten jeweils mindestens 30 Prozent des von der Deutschen Rentenversicherung aktuell mit 37.873 Euro jährlichen Durchschnittsverdienstes aller Berufsgruppen in Deutschland erzielt haben. Tausende Künstler*innen werden das als Zugangsbedingung zur Grundrente definierte Mindesteinkommen von 11.361 Euro pro Jahr nicht erreichen.“
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu wenig und für die Grundrente leider auch. Daher fordert die Allianz der Freien Künste, „die Untergrenze für den Zugang zur Grundrente mindestens am gesetzlich definierten Existenzminimum auszurichten, um tausende Künstler*innen vor Altersarmut zu bewahren.“ Das liegt aktuell (2020) bei 9.408 Euro.
Das klänge schon besser, wenn man sich nicht zugleich darüber wundern würde, dass der Zustand vor der Verabschiedung der Grundrente leider nicht besser war. Die Einführung der Grundrente bedeutet im Vergleich zu vorher keine konkrete Schlechterstellung. Der Vorschlag der Allianz der Freien Künste ist trotzdem richtig, der Gesetzgeberin und dem Gesetzgeber ist die prekäre Situation der Künstlerinnen und Künstler wohl einfach durch das Raster gerutscht, hat man bei der Gestaltung Grundrente verpennt.
Wird das also geändert? Mit einer Petition will man auf das Problem aufmerksam machen. Dieses Bittebitte-Spiel eben. Was wäre aber ein vernünftiger Plan B?
Besser freilich wäre es doch, wenn schon in Zeiten des so genannten Erwerbslebens die Einkommen der Künstlerinnen und Künstler hoch genug wären, damit sie über diese ausschließende Bemessungsgrenze hinausrutschten. In dieser Richtung geht die Forderung der LINKEN, deren Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch in einem Gespräch mit dem Deutschlandfunk das Grundproblem artikulierte, „dass wir überhaupt nicht so eine Grundrente brauchen, dass wir endlich was gegen den Niedriglohnsektor tun, dass wir den Mindestlohn deutlich anheben, das Rentenniveau steigern.“
Wem ist die künstlerische Arbeit also so wenig wert? Und warum? Warum müssen die Künstlerinnen und Künstler so ausgiebig auf den Förder-Strich gehen, abhängig von Jurys und Haushaltszuteilungen? Warum sind Honorare von Institutionen wie öffentlichen Theatern, Hochschulen, Rundfunkanstalten et cetera so beschämend respektlos niedrig, die Arbeitsbedingungen manchmal nahe an denen einer theaterfürstlichen Leibeigenschaft angelehnt?
Man kann es drehen und wenden wie man will: Kunst zahlt sich nicht aus, außer für eine kleine Gruppe von Kunstgewinnler*innen im „Risikospiel der Kunst“, und ist damit weit entfernt von dem, was der Volkswirtschaftler und Philosoph Karl Marx „freies Arbeiten“ nannte. Liebe, Solidarität, Zuwendung, Vertrauen, Sinnlichkeit, Kunst: die haben alle keinen Preis, der sich berechnen ließe. Dahin müsste es aber gehen in einer freien Gesellschaft. Aber wer finanziert dann die Qualitätsmanagerinnen und -manager, die Controllerinnen und Controller, Unternehmensberaterinnen und -berater, die Effizienzberechnerinnen und -berechner?