Die Livekultur darbt in Zeiten der Lockdowns während dieser Corona-Pandemie. Es trifft die enge und hitzige Clubkultur, den Jazzclub ebenso wie die klimatechnisch und akustisch auf den aktuellsten Stand gebrachten Konzert- und Theatersäle. Es ist daher nur selbstverständlich, dass man versucht auszuloten, in welchem Segment welche Gefahren für mögliche Ansteckungsszenarien unter den Besucher*innen lauern, drohen oder unvermeidlich sind.
Für Aufsehen sorgte vor wenigen Tagen eine Pressemitteilung des Konzerthauses Dortmund, dass Physiker des Fraunhofer Heinrich-Hertz-Instituts und die Messtechnik-Firma ParteQ die räumliche Ausbreitung von Aerosolen und CO2 in einem Konzertsaal experimentell untersucht haben.
Das vorgetragene Ergebnis klingt zunächst vielversprechend: „Die Auswertungen der experimentellen Untersuchungen zeigen, dass insbesondere im Saal unter den gegebenen Bedingungen die Gefahr der Übertragung von Infektionen durch Aerosolübertragung nahezu ausgeschlossen werden kann.“ Wir haben uns bemüht, mit Hilfe einiger Nachfragen an den Leiter dieser Experimente herauszukommen, ob dem wirklich so ist. Leider haben wir bis Redaktionsschluss überhaupt keine Antworten erhalten. Aber es gibt einige problematische Stellen bei diesen Experimenten, die eine deutlich vorsichtigere Bewertung nahelegen sollten. Diese Zweifel beginnen damit, dass diese nur an unbewegten „Dummies“ gemacht wurden und somit nur einen Spezialfall menschlichen Verhaltens dokumentieren. Ferner gehen die Experimente davon aus, dass eine Übertragung ausschließlich über Aerosole erfolgt (was nicht der Realität entspricht), und die Zweifel enden damit, dass die Studie eben noch nicht wissenschaftlich begutachtet wurde – veröffentlicht wurde bisher allein eine Präsentation der Experimente.
Dabei soll gar nicht in Zweifel gezogen werden, dass Raumlüftungsanlagen modernster Prägung, wie sie zum Beispiel auch im Konzertsaal Dortmund eingesetzt werden, annähernd klimatische und lufttechnische Situationen erzeugen, die nahezu ideal zu nennen sind, will man eben eine Aerosol-Verbreitung unterbinden. Andere Orte, an denen sich Menschen treffen, wie Schulen, Kindergärten, Fahrzeuge des ÖPNV sind dagegen lüftungstechnisch bekanntermaßen vergleichsweise weniger vertrauenserweckend.
Gleichwohl reicht ein olfaktorischer Müffeltest meist aus, um zu eruieren, wo man sich aktuelle besser nicht niederlassen sollte. So sehr die Sehnsucht nach Öffnung all dieser Veranstaltungsorte zu verstehen ist, ökonomisch und künstlerisch, so sorgfältig müssen die Ergebnisse derartiger Experimente analysiert werden – und zwar von Forschenden, die unabhängig sind. Hier besteht ein großes Defizit: das ist bisher weder bei der Umfrage der Staatsoper München passiert, beim Bendzko-Versuch mit dem Titel „Restart-19“ der Universität Halle/Wittenberg nicht und ebenso nicht bei Empfehlungen von Charité-Epidemiologen um Stefan Willich („Publikumsbetrieb von Konzert-und Opernhäusern während der COVID-19 Pandemie“ vom 17. August 2020), von dem sich die Klinikleitung der Charité umgehend distanzierte.
So haben auch die physikalischen Experimente am Konzerthaus Dortmund nur innerhalb der Szene ihre Kreise gezogen und innerhalb gutmütiger Musikjournalist*innen. Fachliche Kritik wäre ja erst möglich, wenn man entsprechend nachprüfbare Daten hätte und die Methodik sowie die Hypothesen der Experimente kennen würde.
Das ist vor allem ab dem Moment besonders zu bedauern, wenn man tatsächlich mit solchen Ergebnissen politische Entscheidungen nachhaltig und tragfähig beeinflussen möchte. Da reicht die Laune einiger physikalischer Experimente nicht aus. So verwundert es nicht, dass die Politik und entsprechende Lobbyunternehmungen wie der Deutsche Musikrat sich zu diesen Studien nicht äußern.
Natürlich hoffen wir alle, dass sich der Virennebel bald lüftet und Kultureinrichtungen ihre Pforten öffnen können. Nach allem, was man bisher über die Verbreitung von Coronaviren weiß, wäre es momentan jedenfalls für die Kontrolle der Pandemie besser, Konzerthäuser mit sehr guter Raumlüftungstechnik teilweise als erste Institutionen zu öffnen, statt Schulen, Universitäten, Kindergärten oder zahlreiche Büros. Ob das jedoch gesamtgesellschaftlich so gut ankäme, das wäre eine ganz andere Frage.
Zuerst erschienen in nmz Ausgabe: 2/2021 – 70. Jahrgang