Das von der Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) finanzierte Programm „NEUSTART KULTUR – Stipendienprogramm Klassik“ umfasst zehn Millionen Euro. Umgesetzt wird es vom Deutschen Musikrat in Bonn. Das Programm richtet sich an freischaffende, professionelle Künstler*innen mit Arbeitsschwerpunkt im Bereich der klassischen Musik aller Epochen bis zur klassischen Moderne. Die Bewerbungsphase war vom 29. Dezember 2020 bis zum 17. Januar 2021, am 1. März benannten zehn dreiköpfige Jurys die Stipendiatinnen und Stipendiaten, die mit je 6.000 Euro unterstützt werden. Ziel von NEUSTART KULTUR ist es, die Wahrnehmung der pandemischen Situation als „Chance“ zu sehen, um über „die Bedeutung der eigenen künstlerischen Arbeit zu reflektieren und neue Formen der Produktion, Aufführung und Vermittlung zu entwickeln“. Wir fragten nach: Wie lief das ab, was sind die Ergebnisse? Programmleiterin Irene Schwalb beantwortete die Fragen von Martin Hufner.
neue musikzeitung: Können Sie kurz schildern, warum dieses Programm aufgelegt worden ist? Wem soll geholfen werden?
Irene Schwalb: Das Programm wird von der Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) finanziert. Der Deutsche Musikrat hat das Programm auf Initiative des Präsidenten des Deutschen Musikrates, Prof. Martin Maria Krüger, bei der BKM beantragt und wurde mit der Umsetzung betraut. Insgesamt wurden von der BKM Mittel in Höhe von zehn Millionen Euro zur Verfügung gestellt, für die wir uns im Namen der Stipendienempfängerinnen und -empfänger sehr herzlich bei der BKM bedanken. Das Programm unterstützt gezielt Musikerinnen und Musiker der Alten Musik und der Klassik bis zur Avantgarde.
Programm für Interpreten
nmz: Wie hat man den Bereich Klassik gegen andere Bereiche abgegrenzt und warum?
Schwalb: Im vergangenen Jahr gab es bereits ein Programm der BKM für zeitgenössische Musikerinnen und Musiker, Komponistinnen und Komponisten. Dieses wurde vom Musikfonds verwaltet. Daher lag es nahe, mit dem neuen Programm den professionellen Musizierenden zu helfen, die sich im Schwerpunkt anderen künstlerischen Epochen widmen. Das Programm richtet sich an soloselbstständige Musikerinnen und Musiker der Klassik von der Alten Musik bis zur frühen Avantgarde.
nmz: Können Sie erklären, warum das Programm auf Einzelpersonen zugeschnitten wurde und nicht auch kleine Ensembles umfasst hat?
Schwalb: Laut der Fördergrundsätze konnten sich nur natürliche Personen bewerben. Allerdings war es den individuellen Mitgliedern von Ensembles möglich, ebenfalls Konzepte einzureichen. Diese Möglichkeit wurde auch genutzt. Zusätzlich sind wir aktuell mit der BKM im Gespräch über ein neues Programm, das sich dezidiert an Ensembles wendet.
nmz: Es gab 2.622 Bewerbungen von denen 2.113 zugelassen wurden. Wie sahen die Ausschlusskriterien aus? Welche Anträge konnten vorab nicht berücksichtigt werden?
Schwalb: Wir haben zunächst alle Anträge formal geprüft. Es gab sehr viele Anträge von Komponistinnen und Komponisten, die schreiben oder neue Konzepte mit zeitgenössischer Musik entwickeln wollten. Diese konnten wir leider nicht berücksichtigen, da es für zeitgenössische Musizierende ein gesondertes Programm beim Musikfonds gab.
nmz: Wer hat eigentlich die immerhin 30-köpfige Jury bestellt? Nach welchen Kriterien wurde diese zusammengestellt? Haben die Jurymitglieder ein Honorar oder eine Aufwandsentschädigung erhalten?
Schwalb: Der Deutsche Musikrat hat ein neunköpfiges Gremium mit Mitgliedern wie Tabea Zimmermann, Steven Walter und Sarah Wedl-Wilson gebeten, Vorschläge für die Besetzung der zehn Jurys zu machen. Die Jurys waren paritätisch besetzt und setzten sich aus jeweils einer Person aus dem Bereich der Klassik, einer Persönlichkeit aus der Alten Musik und einer medienschaffenden Person zusammen. Jede Jurorin und jeder Juror hat ein Sitzungsgeld in Höhe von 2.500 Euro bekommen. Jedes Jurymitglied prüfte über 200 Anträge und nahm an mehreren Jurysitzungen teil. Die Jurymitglieder haben intensiv und engagiert miteinander diskutiert, was mich sehr gefreut hat. Auf der Website des Deutschen Musikrates sind die Namen der Jurymitglieder veröffentlicht.
nmz: In welcher Form wurden die Bewerbungen geprüft und unter den Jurymitgliedern kommuniziert? Gab es so etwas wie einen Kriterien-Katalog?
Schwalb: Es gab unterschiedliche Kriterien und ein strukturiertes Punktesystem, um eine Vergleichbarkeit zu ermöglichen. Wichtige Kriterien waren zum Beispiel die künstlerische Qualität, für deren Beurteilung jede Bewerberin und jeder Bewerber zwei Hörbeispiele einreichen musste.
nmz: Sind alle 1.595 Stipendien vergeben worden? Wenn ja, welchen Mangel hatte der Stipendienantrag auf Platz 1.596 gegenüber dem auf Platz 1.595? Oder lief das eher nach dem Prinzip: Wir urteilen nicht, wir schütten alles aus, bis nichts mehr da ist?
Schwalb: Es lief keinesfalls zufällig ab. Die Jury hat sich eingehend mit jeder Bewerbung beschäftigt, es wurde am Ende nach einem Punktesystem entschieden.
Die 51-Prozentmarke
nmz: Wie darf man sich das präzise vorstellen? War die „Grenze“ die Punktanzahl, oder hat die Punktanzahl sich an der Grenze der zur Verfügung stehenden Mittel orientiert. War der Maßstab „Qualität“ oder „Quantität“?
Schwalb: Der Maßstab war natürlich in erster Linie Qualität. Wir wussten, wir können 1.595 Stipendien vergeben und die Jury hat nach qualitativen Gesichtspunkten die Bewerbungen gesichtet, gehört und Punkte vergeben. Letztlich lag die Grenze zwischen zwei Punktierungszahlen, die sich ergeben können, wenn drei Jurorinnen und Juroren zwischen eins und fünf Punkten vergeben.
nmz: Wurde eigentlich danach unterschieden, ob die Bewerber*innen unterschiedlich bedürftig sind? Es sind ja nicht alle Musiker*innen im Klassikbereich gleichermaßen betroffen?
Schwalb: Im Vorfeld haben wir die Unterlagen formal geprüft, zu den Prüfkriterien gehörte, dass die einzelnen Musikerinnen und Musiker überwiegend, das heißt zu mindestens 51 Prozent, freischaffend tätig sein müssen. So wurden zum Beispiel Musikerinnen und Musiker schon mit einer halben Professur ausgeschlossen.
Im Anschluss an die formale Prüfung haben wir die Jury gebeten, die Bedürftigkeit aller Bewerberinnen und Bewerber vorauszusetzen. Denn jenseits der Einhaltung der formalen Richtlinien steht es niemandem von uns zu, einzuschätzen, wie bedürftig jemand ist, wir kennen sein beziehungsweise ihr individuelles Umfeld nicht. Bedürftigkeit kann nur ein weiches Kriterium sein.
nmz: Rein formal gefragt – sind Stipendien eigentlich zu versteuern und umsatzsteuerpflichtig?
Schwalb: Dieses ist ein zweckfreies Stipendium, für das keine direkte Gegenleistung gefordert wird. Damit ist es in der Regel steuerfrei.
nmz: Was passiert mit den Ergebnissen der Stipendien? Darf sich die Klassikwelt jetzt auf 1.595 pandemiereflektierende Klassik-Events freuen?
Schwalb: Wir hoffen auf zahlreiche CDs, Konzerte, Werkbearbeitungen und vieles mehr. Nach der Abgabe aller Arbeitsberichte erwarten wir hochkarätige Beiträge aus dem vielseitigen Feld der klassischen Musik.
nmz: Wird es eine Schlussevaluation dieses Neustart-Kultur-Projektes geben? Und wenn ja, in welcher Form?
Schwalb: Natürlich wird der Musikrat die Ergebnisse evaluieren. Gegenüber der BKM haben wir einen Verwendungsnachweis zu erbringen.
nmz: Sollte ein ähnliches Vorhaben noch einmal gestartet werden, würden Sie Änderungen in Ausschreibung und Durchführung vornehmen?
Schwalb: Im Laufe eines solchen Vergabeprozesses lernt man immer dazu. Daher sehen wir einige Dinge, die bei einer neuen Ausschreibung verändert werden sollten. Wir haben der BKM bereits konkrete Verbesserungen vorschlagen. Dazu gehören die Erhöhung der Stipendiensumme, die Einbindung von Studienabgängern und Ensembles. Wir haben der BKM klar signalisiert: Der Deutsche Musikrat ist bereit, sich auch weiterhin für NEUSTART KULTUR zu engagieren.
Zuerst erschienen in nmz Ausgabe: 4/2021 – 70. Jahrgang