Das Radio, das Radio, das Radio. Seit Jahren wird sein Untergang prognostiziert, aber es lebt, es lebt, es lebt. Wie auch Walt Disneys „Lustige Taschenbücher“ leben oder, wie wir seit Ostern, spätestens aber seit Norbert Blüm wissen, Jesus auch. In der aktuellen ARD-ZDF-Onlinestudie kann man es nachlesen: „Das klassische Radio ist weiterhin das zentrale Audiomedium: Das lineare Radioprogramm erreicht täglich 76 Prozent der Menschen und hat sogar in der jungen Zielgruppe an Nutzung dazugewonnen. Radio wird durchschnittlich 135 Minuten täglich und vorrangig über klassische Radiogeräte (UKW/DAB+) gehört, aber auch Radio-Livestreams haben in der täglichen Nutzung zugelegt.“ Alles ein Effekt der Coronapandemie? Nein!
Offenbar trug die Seuchenlage, der Studieninterpretation zufolge, nur wenig zur Verlebendigung der Radiokultur bei. Über die Gründe lässt sich daher trefflich spekulieren. Mir scheint es vor allem daran zu liegen, dass im Radio und im Rundfunk all das nicht funktioniert, was beispielsweise Fernsehen oder Soziale Medien ausmacht. Nämlich ein hemmungsloser Hedonismus, verbunden mit geistiger Verflachung und Anbiederung an Publikumsreaktionen. Eitelkeiten und Dummheiten werden abgestraft, statt wie im Fernsehen und den sozialen Medien belohnt. Deshalb kann noch in der Tiefe geschürft werden und das abseitigste Thema seine Hörendenschaft finden. Kein LIKE-Button dient der unehrlichen Evaluierungsbequemlichkeit im Radio, kein Applaus und/oder Gelächter eines Publikums und auch keine angeblich objektive Quotenmessung verzerrt die Qualitätsbeurteilung?
Leider ist es nur selten der Fall, dass man seitens der Rundfunkmacher*innen daraus den Schluss zieht, noch mehr Zumutungen, statt nivellierender Tagesbegleitteppiche zu erzeugen. Aber Rückfälle zur Qualitätserhöhung gibt es durchaus. Nach zwei Jahren quälend öder Jazzbequasselung am Abend auf WDR3 hat man das Programm wieder konturiert und damit Steine des Anstoßes geschaffen und die Dauerschleife abstoßend wohlklingender Ödnis ersetzt. Leider entspricht dem möglichen Potenzial nicht seine informationelle Erschließungsfähigkeit für Interessierte aller Genres.
Das aber wäre bitter nötig, wo es jetzt wieder deutlich mehr Inseln der Hörbarkeit gibt und die kulturelle Flaute unerheblicher Dauerberieselung ein Ende haben könnte. Das Radio gehört den Zulauschenden, macht es zugänglicher.
- Cluster, zuerst erschienen in nmz Ausgabe: 6/2022 – 71. Jahrgang