„Ein Computer kann alles, aber sonst nichts“, so das „Lexikon der Postmoderne“ von 1988 lakonisch. Wir haben hier ein Experiment gewagt und das Editorial (links) zum Teil von einer „künstlichen Intelligenz“ schreiben lassen. „ChatGPT“ heißt dieses Werkzeug, das sich selbst auf Nachfrage so erklärt: „ChatGPT ist ein großes Sprachmodell, das von OpenAI trainiert wurde. Es kann verwendet werden, um natürliche Sprachprozesse wie Textgenerierung, Übersetzung und Textzusammenfassung zu automatisieren. Es wurde auf einer großen Menge an Texten aus dem Internet trainiert und ist in der Lage, menschenähnliche Antworten auf eine Vielzahl von Fragen zu geben.“
So eben auch eine menschenähnliche Antwort auf die Frage, wie das Musikleben der Zukunft aussehe. Wir wagen an dieser Stelle jetzt aber umgekehrt eine Aussicht auf Dinge des Musik- und Kulturlebens, die das Jahr 2023 wohl mitbestimmen werden.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat für die Menschen des Landes verheerende Folgen, die auch dazu geeignet sein dürften, das internationale Kulturleben durcheinander zu würfeln. Nicht nur ist Russlands Führung dabei, die Kultur der Ukraine vernichten zu wollen, sie ist auch dabei, ihre eigene auf Dauer und nachhaltig zu beschädigen. Der Exodus russischer Kultur ist schon länger im Gange, die totalitäre Gängelung des eigenen Volkes führt in einer Art Spirale unweigerlich in eine Gesellschaft, die von Unrecht beherrscht wird. Das muss verhindert werden. Denn die ganze Welt ist schon voll mit derlei Entwicklungen. Was können da Kultur und Kunst bewirken?
Das Musikleben in Deutschland wird sicherlich mit den Auswirkungen der Corona-Endemie zu kämpfen haben. Die Corona-Wunden deckten zahlreiche Probleme in unserer Kunst- und Kulturwelt auf. Darauf sattelt sich jetzt eine deutliche Steigerung der Lebenshaltungskosten, vor allem im Bereich der Energie. Wie kann das kompensiert werden? Was macht der Deutsche Musikrat? Das Generalsekretariat wird neu besetzt werden und ein Jubiläum nach dem anderen wird gefeiert – bleibt da noch Zeit für musikpolitische Arbeit? Wird der „Neustart Kultur“ 2023 möglicherweise durch Handlungsarmut der Kulturpolitik abgewürgt?
Geschwätzige Untätigkeit
Damit wären wir auch bei einer Baustelle, die die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth grundsätzlich nicht anpackt. Aus ihrer Absicht, ein „als grünes Sofortprogramm“ seit Beginn der Pandemie in Baden-Württemberg eingeführtes Existenzgeld von 1.200 Euro für alle von der Corona-Krise betroffenen Solo-Selbstständigen bundesweit aufzulegen, wurde bekanntlich nichts. Die bisherige Arbeit von Claudia Roth belegt damit vor allem, dass ein von vielen gefordertes Bundeskulturministerium, wenn es so schwach geführt werden würde wie von Claudia Roth derzeit, Schaden durch geschwätzige Untätigkeit anrichten könnte. Die entscheidenden Schritte zur Verbesserung der sozialen Sicherung werden aus den von der SPD geführten Ministerien für Arbeit und Gesundheit kommen müssen.
Die Kulturmacher*innen greifen selbst zu Lösungswegen: Man experimentiert unter unterschiedlichen Namen mit Absenkungen von Eintrittsgebühren. Der Hessische Rundfunk hat gerade einen „Kulturpreisdeckel“ von hr-Sinfonieorchester und hr-Bigband aufgelegt: „Das hr-9-Euro-Ticket ist da! Neu und nur für kurze Zeit.“ Das Theater Augsburg wirbt mit einem „Kultursozialticket“, bei dem man „für 1 € ins Theater“ komme. Nicht immer ist geklärt, ob derlei Aktivitäten wirklich auf einen breiteren Zugang des (alten verlorenen oder des neuen noch nicht erreichten) Publikums, abzielen oder doch nur das Haus vollmachen sollen.
Dahinter steht die grundsätzliche Frage: Welche Funktion haben Kunst und Kultur in einer freien Gesellschaft, die von wachsenden Spaltungen in Sachen Reichtum und Armut geprägt ist und zudem von Krisen aus der Weltpolitik geschüttelt wird (Krieg, Klima, Gesundheit, Energie). Für Institutionen, die durch Beiträge (wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk) oder über Steuern (wie beispielsweise staatlich unterstützte Theater) gefördert werden, sind Experimente wie die Erwähnten leichter zu bewerkstelligen als in der freien Szene, die ohnehin schon vor der Energiekrise friert. Wie sich das gerade zum Schlechten entwickelt, lesen Sie im Nachschlag von Stefan Beyer zur Fördersituation zeitgenössischer Musik in Leipzig (S. 14).
Es wird aber nicht nur zu wenig, es wird auch falsch gehandelt: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk befindet sich in einer größtenteils selbstverschuldeten Situation, bei der Intendant*innen ihre eigenen Programme schlechtreden und die „Kultur-Lobby“ (Tom Buhrow) zu Reformfeinden oder zur Last erklären. O-Ton SWR-Intendant Kai Gniffke, nach dem Hinweis, dass nicht jeder Sender eine 24-Stunden-Kulturwelle brauche: „Ich weiß jetzt schon, dass die Betroffenen jaulen und quieken werden, um das zu verhindern. Aber wir werden diese Konflikte aushalten.“ Das kann man nicht anders denn als Drohung verstehen.
Gerechtigkeitsverteilungskampf
Zumal der reale Zuwachs an der Nutzung digitaler Medien von YouTube bis Spotify neue Probleme für die Künstler*innen und Urheber*innen schafft. Die miese Beteiligung an den Umsätzen aus diesen Geschäften wird dauerbeklagt und schlimmer noch, sie setzt sich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk fort, wenn beispielsweise „Ö1“ (der österreichische Rundfunk) seine Sendeplätze im Bereich Neuer Musik und Jazz reduziert.
Wenn schon mal etwas irgendwo gedeihen wollte, droht ein Gerechtigkeitsverteilungskampf über Quoten, Diversitäten und Beteiligungen Initiativen zu ersticken oder zu nivellieren. Da ist man bei Künstlicher Intelligenz wie bei „ChatGPT“ auf der sicheren Seite. Denn Bits kennen weder Geschlecht, Religion, Moral oder Herkunft.
Bis gestern war dies noch Zukunftsmusik, spätestens seit heute ist es schon die außerordentliche Normalität. Die Frage: Mitgestalten oder nur Abverwalten?
- Zuerst erschienen in nmz Ausgabe: 2/2023 – 72. Jahrgang
Apropo Roth – Gibt es denn schon Neuigkeiten zum KulturPass für 18-Jährige?
Leider nein. Aber ich werde da mal nachhaken.