Es gab Zeiten, da sprach man gelingender Kultur das Vermögen zu, frei und im wahrsten Sinne des Wortes unberechenbar zu sein. In der Musik zählte man vielleicht die Werke durch. Aber schon die Verkaufszahlen, die Quoten und die Auslastungszahlen wirkten wie aufgesetzt vom Geiste der Verdinglichung. Das Ergebnis dieser Transformation ist mittlerweile zur Hauptsache selbst geworden. Es wird gezählt und verglichen, gemessen – der Katalog der Eigenschaften ereilt die Kultur durch Menschen, die man sich am besten ohne Eigenschaften zu wünschen habe.
Es wird daher kontrolliert, indem man mit ellenlangen Listen Eigenschaften abfragt: Geschlecht, Herkunft, Alter, Beeinträchtigung, Ausbildung, Religion, Neigung. Danach sollen Positionen besetzt werden mit dem eben auch einzigen Ziel, um im Ergebnis Diskriminierungen zu verhindern und damit die totale Diversität zu schaffen. Heraus kommt dabei immer wieder eine Umkehr der Diskriminierung; denn Anti-Diskriminierung bedarf der trennenden Unterscheidung. Ein alter weißer Mann als Intendant, hatten wir das nicht schon mal? Kann weg, nein: Muss weg.
Diesen unvermeidbaren Ungerechtigkeiten kann man allerdings nur auf eine Art begegnen: Gott Zufall! Nur der Zufall garantiert, dass der Mensch seine vorurteilsbehafteten Entscheidungen entsorgen kann. Nur der Zufall kann der große Gleichmacher sein. Oder sein nur scheinbarer Gegenpart: Der mechanische Algorithmus. Denn wenn schon Zahl, dann solche aus der mathematischen Kategorie des Unberechen- und Unbestimmbaren.
Die Menschen sind einfach zu schlecht, zu schlicht und zu emotional getrieben, um ihnen die Zukunft – auch die der Kultur oder Kunst – zu überlassen. John Cage hat das bereits weise vorhergesagt und komponiert. Damit gehören die Kunstwerke der Zukunft absurderweise der Vergangenheit an.
- Zuerst erschienen in nmz Ausgabe: 3/2023 – 72. Jahrgang