Es sollte das große Ding sein, das Claudia Roth als Kulturstaatsministerin an den Start bringt. Aber es ist eine Initiative, die an fast jeder Stelle scheitert. Der KulturPass für 18-Jährige ist am 14. Juni gestartet. Eine erste Fehleranalyse: Wo man sich dabei verrechnet und wo Idee und Umsetzung nicht nur in Teilen, sondern systemweit danebenliegen, soll kurz dargestellt werden. Absicht und Ziel des KulturPasses war: „Der KulturPass soll nicht nur junge Menschen, sondern auch die Kultureinrichtungen unterstützen. Sie wurden ebenfalls hart von Corona getroffen und kämpfen noch immer darum, ihr Publikum zurückzugewinnen. Ziel ist es, durch den KulturPass die Nachfrage in den Einrichtungen zu stärken und ihnen zu ermöglichen, neues Publikum für sich zu gewinnen. 5.600 Kulturanbieter bundesweit sind bereits registriert, rund 1,7 Millionen Produkte sind derzeit verfügbar (Stand: 14.06.2023).“ (www.bundesregierung.de/breg-de/suche/KulturPass-2142398)
Aber schon die Grunddaten stimmen nicht. Wenn man die App des KulturPasses öffnet, dann hat man nicht einen Zugriff auf rund 1,7 Millionen Produkte, sondern auf exakt 1.220.190. Aber auch das ausgegebene Ziel (Nachfrage in Einrichtungen steigern) verfehlt man aktuell komplett – die angegebene Zahl ist nicht nur falsch, sondern reine Augenwischerei. Der größte Teil der Angebote (bzw. Produkte) besteht aus Büchern, nämlich 1.162.505 von 1.229.190. Das sind 95,3 Prozent. Umgekehrt heißt das: 4,7 Prozent aller Produkte entfallen auf den Bereich Konzert und Bühne, Kino, Museum und Parks – also die Kultureinrichtungen, die darum kämpfen, „ihr Publikum zurückzugewinnen“. Der Rest (Musikinstrumente, Noten und Tonträger) fällt in den Rundungsbereich von etwa 0,01 Prozent der Produkte.
Die Aussage „Mit der App bieten wir einen Tourguide für die spannende und sehr vielfältige Kulturlandschaft Deutschlands an“, so Kulturstaatsministerin Roth beim Pressetermin am 14. Juni 2023 im Kanzleramt, wirkt absurd, weltfremd oder beides und dazu noch naiv. Nach dieser Vorstellung müssten vor allem Bücher unsere Kulturlandschaft fast komplett abbilden. Das tun sie sogar irgendwie auch, wenngleich nicht nur im guten Sinn. Natürlich gibt es auch Bücher aus dem rechten Antaios Verlag von Götz Kubitschek oder Broschüren vom Compact-Magazin Jürgen Elsässers oder Publikationen von Martin Sellner und Martin Lichtmesz (also weiteren Akteuren der Neuen Rechten in Deutschland und Österreich), damit dann auch wirklich alle Seiten unserer reichhaltigen (Buch-)Kultur repräsentiert werden können. Schließlich hat auch die rechte Szene unter Corona schlimm darben müssen. Und natürlich gibt es auch 18-Jährige, die sich dafür besonders interessieren und engagieren. Der KulturPass hilft dabei. Darüber hinaus teilen sich nur fünf Buchhandlungen, Stichtag 15. Juni 2023, den gesamten Bücherkuchen unter sich auf. Damit hat man den Online-Buchläden jetzt aber wirklich eins ausgewischt.
Wie sieht es mit den Angeboten in den Kategorien „Konzert und Bühnen“, der eigentlichen Filetidee des Passes, aus (Kategorie und Produkteinträge): Comedy: 53, Festivals: 181, Festspiele: 48, Klassik: 26, Konzerte: 412, Literatur & Spoken Word: 74, Musical & Show: 258, Oper & Operette: 5, Tanz: 17, Theater: 135, Wert-Code: 55461, Zirkus: 1. Nicht nur, dass die Kategorisierung eigenartig anmutet, sie verdeckt auch, dass der größte Kuchen hier sich hinter „Wert-Code“ verbirgt. Gewinner im Bereich Veranstaltungen ist der Ticketvermittler Eventim. Über den werden gefühlt fast alle Tickets vermittelt. Wenn die Rechnung stimmt, Stand 15.55 Uhr am 14. Juni 2023, gab es insgesamt 57.100 Einträge unter Konzerte und Bühne, bei Suche nach dem String „Eventim“ waren es immer noch 55.376 Veranstaltungen. Also nicht ganz 100, sondern nur 96,9 Prozent aller Einträge. Natürlich ist der nur Ticket-Verkäufer und Vermittler, aber die Provisionen werden ihn nicht arm machen.
Es gibt aber auch eventimfreie Zonen. Oper und Operette: Gärtnerplatztheater München mit Figaros Hochzeit und Luisa Miller für 10 Euro und drei mal die Fledermaus von Opera Laiblin e.V. zu 14 Euro. Im Bereich Klassik gibts Konzerte der Elbland Philharmonie zu fast immer 5 Euro oder KonzertGut (Braunschweig) zu 15 Euro. Mit von der Partie ist das Kulturreferat Cham, das Kulturbüro der Stadt Hamm, „Das Zentrum Bayreuth“, das Ensemble Haar und die Vogtland Kultur GmbH oder die Bingen Tourismus und Kongress GmbH. Sämtliche Einträge in der Kategorie Festspiele werden veranstaltet vom Tourismus- und Veranstaltungsbetrieb der Lucas-Cranach-Stadt Kronach. Aber immerhin ist man in diesen beiden Bereichen wenigstens frei von Eventim als Anbieter oder Vermittler.
Wenn man möchte und zahlreiche Ergebnisse bei der Suche ausgespuckt werden, kann man sich die Ergebnisse nach „Relevanz“ sortieren lassen. Wie dieser Filter funktioniert und ob überhaupt, ist für die Nutzer*innen leider nicht ersichtlich.
Die Musikwirtschaft freut sich in einer Pressemeldung: „Wenn über diese Angebote dann tausende 18-Jährige auf die Konzerte oder in die Platten- und Musikinstrumentenläden strömen, bieten sich große Chancen im Sinne eines nachhaltigen Audience Developments.“ (Pressemailing: Forum Musikwirtschaft begrüßt KulturPass). Das Problem dabei: Es sind unter den Produkten keine Schallplatten zu finden und „Tonträger“ zum Stichtag derer vier (in Zahlen 4).
Die Frage für kleinere Veranstalter ohne Eventim im Hintergrund oder eine städtische Behörde: Lohnt sich der Aufwand für Registrierung und Datenpflege überhaupt, wenn man untergeht im großen Haufen finanziell hochpotenter Konkurrenz? Das muss natürlich jeder für sich entscheiden. Ich fürchte, es hängt von der Umgebung ab. Eine Veranstaltung in der Kategorie Zirkus ist dann tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal und ist damit gut wahrnehmbar.
An den Erfolg des KulturPasses hat man freilich von Anfang an nicht geglaubt. Denn der dafür vorgesehene und bereitgestellte Etat von 100 Millionen Euro (abzüglich der Aufwendungen für Technik und Organisation, bei denen die kleine Softwareschmiede und Garagenfirma SAP mitgemischt hat) würde für die potenziellen Nutzer*innen nicht reichen. Dafür hätten es netto schon mindestens 150 Millionen Euro sein müssen. Ein Drittel der Berechtigten hat man vorderhand bereits verloren gegeben. Gerade um die würde es aber gehen. Nicht um die sowieso schon Kulturaffinen.
- Zuerst erschienen in nmz 2023/7-8.