Ein anderes Thema wird mich die nächste Zeit begleiten, die (potentielle) Ausdünnung im Bereich des Kultur-Journalismus‘: Fono Forum schließt seine Pforten zum Jahresende. Die Kunstzeitung hört auf. „Katapult“ und das Satire-Magazin TITANIC standen vor Zahlungsunfähigkeit, wenn nicht bald Geld in die Kassen kommt. Man kämpft um Abos und mit Merch. Die Österreichische Musikzeitung hat bereits vor ein paar Jahren die Segel gestrichen. Die MusikTexte sind seit dem Tod von Gisela Gronemeyer verwaist. Bei terzwerk.de, dem multimedialen Projekt des Instituts für Musikjournalismus und Musikvermittlung der TU Dortmund gibt es nur eine Fehlermeldung des eingesetzten Content Management Systems. Bei niusic.de (dem „Onlinebiotop für Klassik und Musikkultur“) ist seit März dieses Jahres nichts mehr erschienen. Bei dem Streaming-Anbieter „takt1“ sind im Consumerbereich kürzlich die Lichter ausgegangen. In Österreich wird Myfidelio zum Jahresende eingestellt. Vor Jahren haben uns die Printausgaben von Intro oder De:Bug verlassen. Die ARD baut ihre Kulturprogramme ebenfalls um sowie Inhalte ab und verkauft es wie beim Bayerischen Rundfunk als „Kulturoffensive“!
Die Reaktionen aus den Funkhäusern auf Olaf Zimmermanns Rant und nmz-Leitartikel „Zum Kulturkahlschlag bei der ARD“ in der September-Ausgabe der nmz halten sich in überschaubarer Größe (siehe Interview S. 23).
Sind wir in der Phase der Kulturausschleichung in den Medien angekommen? Erst stotternd, aber langsam immer stärker ausschlagend? Ja, und leider tragen die Kommunikationschaoten mancher offensiven Kulturredaktion im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ihren Teil dazu bei. Zwischen Veranstaltern, Künstlern und ihrer Kritik – wie auch innerhalb der Kritik – wird immer wieder der Bogen überspannt und Unflat zur Waffe.
Selbst der Deutsche Musikrat ist alarmiert und fürchtet um die Zukunft des Musikjournalismus. Dessen Generalsekretär Christian Höppner mahnt: „Mit jeder gestrichenen Redaktionsstelle, mit jedem Musik-Magazin, das aufgibt, erodiert die Medienlandschaft für den Musikbereich ein Stückchen mehr. Dies ist fatal: Fatal für das Musikleben, das die Medien als Spiegel, Multiplikator und Kommunikationspartner auf Augenhöhe braucht. Fatal aber auch für diejenigen, die nach gesicherten Informationen und Orientierung suchen und denen mit einem qualifizierten Journalismus auch eine fundierte und kritische Diskussionskultur – als Grundlage eines freien, demokratischen Landes – zunehmend und womöglich unwiederbringlich verloren geht.“
Auf der anderen Seite Wachstum total. So verzeichnen die Musikstreaminganbieter wie Spotify und Co Rekordzahlen an Nutzern und neuen Beiträgen für deren Content. KI-generierte Musikangebote produzieren dabei mittlerweile zusätzlichen Restmüll, den sie in diese Plattformen in schier schrankenloser Menge hineinfluten. Wenige, dafür erfolgreiche Anbieter zeigen: Man kann auch aus Stoffwechselendprodukten Gold machen. Der Rest wird abverkauft wie bei der Zerlegung des Verlages „Gruner + Jahr“.
Wo ist aber der Fehler in der Ungleichung? Sicher verändern sich die Nutzungsweisen des kulturell interessierten Publikums, sowohl was das konkrete Medium selbst angeht als auch dessen jeweiligen Träger (wie die CD, deren Verkauf und Verbreitung stark abnimmt). Manchmal ist daher die Zeit um, manchmal ist sie noch nicht reif, manchmal sind aber auch die Ideen faul. Holger Noltze – der mit der Schrift über die Leichtigkeitslüge und Mitmacher der „Society Of Music“ bei takt1 – macht es sich bei seiner Analyse nicht schwer. Ihm dämmert: „Transformation ist das Mega-Meta-Thema, es hängt natürlich zusammen mit den anderen Riesenthemen: Klima, Krieg, Wirtschaft, Migration und so weiter, Transformation ist die Klammer ums ganz große Ganze, und bedeutet: Die Dinge ändern sich, schneller und radikaler als uns Gewohnheitsmenschen lieb ist, es wird nicht sehr viel bleiben, wie es war. Das gilt auch für unsere kleine große Welt der ‚klassischen‘ Musik, die, schon weil sie sich so nennt, lieber um die Pflege des Bestands als um ‚Wandel und Wechsel‘ (Wotan) sorgt. Man denkt lieber in den Kategorien des Weitermachens, das geht immer noch einigermaßen, weil die Musik selbst ja auch das beste Sedativ ist und ein toller Konzertabend die Welt für einen fragilen Moment mal wieder ins Lot bringt.“ Und ich dachte immer, genau das wäre das Geschäftsmodell der Streamingplattform von takt1.de, mit tollen gestreamten Konzertabenden für der Menschen Seelenheil zu sorgen – und daran zu verdienen. Nun war das nichts. „Mit der Neigung, wegzugucken, wächst aber auch, leise und stetig, das Unbehagen in der Kultur.“ Eher „an“, aber egal.
Ach, wenn es denn nur eine interne Sache der „Klassik-Blase“ wäre, könnte man diese Analyse als sauerstoffarmes Belüftungskonzept für Kippgewässer akzeptieren. Mir dämmert dagegen anderes: Zur gleichen Zeit brechen sich die Kulturangebote autoritärer Institutionen immer mehr Bahn: Ex-Bild-Chef Julian Reichelts „nius“ zum Beispiel (finanziert und kontrolliert durch den Milliardär und Medienunternehmer Frank Gotthardt) oder der rechtsreaktionäre Sender „AUF1“ mit seinem in einschlägigen Szenen bekannten Chefredakteur Stefan Magnet, der in Deutschland Fuß fassen will – und tatsächlich innerhalb kürzester Zeit seine Reichweite extrem steigern konnte. Die „Junge Freiheit“ (als Sprachrohr der Neuen Rechten) hat von 1998 bis 2018 ihre Auflage von knapp 8.500 auf 27.000 Exemplare steigern können. Der Unterschied zu den genannten Kulturmagazinen privater Hand: Es finden sich finanziell hochpotente Finanziers und sie wollen alle einen Umbau unserer Gesellschaft und Kultur.
Nicht zuallerletzt ist in dem Zusammenhang Twitter zu nennen, der legendäre sogenannte Kurznachrichtendienst, der nach Übernahme von Elon Musk nun „X“ heißt und immer mehr im wahrsten Sinne des Wortes von allen guten Geistern verlassen wird, weil sein Inhaber von allen guten Geistern verlassen ist. Wer kann, wechselt die Plattform und verstreut sich auf Bluesky oder Mastodon-Instanzen.
Vom Marxisten Antonio Gramsci stammt die Einsicht, dass jede Revolution, die Erfolg haben will, sich vorher in den Köpfen und Herzen der Menschen festsetzen muss. Da kann Reflektion eigentlich nur schädlich sein und so können die autoritären Kulturangebote und deren mediale Krieger auf Differenzierung und Diskussion fast komplett verzichten. Die Techniken manipulativer Propaganda kennen sie von Grund auf. Das spart Zeit, die angeblich niemand mehr hat, außer für stundenlange Podcastlangeweile oder Serien-Kaskaden auf den Streamingportalen. Da freuen sich Flix & Floxi. Chips und Spiele ins Grundgesetz (siehe Cluster von Mathis Ubben, S. 7)?
Der Deutsche Musikrat hat natürlich die Lösung längst gefunden: „Die Medienlandschaft braucht daher dringend wirksame Unterstützung in Form von regulatorischen Anreizen des Gesetzgebers und öffentlich finanzierter Forschung zu neuen, auch wirtschaftlich tragfähigen Modellen eines unabhängigen Journalismus!“ Yolo. Haste mal ne Mark? – Sie finden mich zwischen den U-Bahn-Stationen Berliner Philharmonie und Konzerthaus Berlin – ich bin der mit der in die nmz eingewickelten Bratsche …
Zuerst erschienen in nmz 2023/10 als Nachschlag