21. November 2024 Guten Tag, everybody

Klein, schmutzig und variabel – Im Gespräch mit dem Komponisten Gordon Kampe

Welche Rolle spielt die Operette im akkreditierten Kompositions-Lehrplan einer deutschen Musikhochschule, welches Potenzial könnten neue Operetten auf den Bühnen spielen? Ist das Genre Operette wirklich tot oder lebendiger als es der ästhetische Rechnungshof der Neuen Musik glaubt? Fragen von Martin Hufner an den Komponisten und Kompositionsprofessor an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater Gordon Kampe. Das Gespräch wurde zur Erhöhung der Komplexitätsreduzierung per Mailaustausch von Kleinmachnow nach Weikersheim, Berlin und Hamburg geführt.

Martin Hufner: Herr Kampe, in einer Ankündigung für Ihre „Gefährliche Operette“ liest man: „Die Operette ist durchgeknallt, zeitkritisch, sentimental, übertrieben und bösartig – sie ist gefährlich!“ Das klingt danach, als ob dies die Musiktheaterform par exellence wäre. Dennoch gibt es nur wenige ganz neue Operetten. Sie sind Professor für Komposition in Hamburg und promovierter Musikwissenschaftler, wie können Sie sich diese Differenz erklären?

Gordon Kampe: Für mich ist die Operette tatsächlich eine spitzenmäßige Musiktheaterform. Sie kann schnell und wendig sein – auf Aktualitäten verweisen: Neues kann immer rein, Überholtes kann raus. In der „Gefährlichen Operette“ gab es mal eine Trump-Persiflage, die sich vor zwei Jahren überholt hatte und hoffentlich draußen bleiben kann. Hinein kam eine Impfpolka, die nun ihrerseits wieder gestrichen wurde, weil’s nicht mehr lustig ist. Die Nummer, in der ein Bariton ein Vögelchen quält, wird aber wohl bleiben. Böse ist immer. – Bisher war ich wohl in keinem Stück so hemmungslos wie dort, das macht richtig Spaß. Vermutlich zögert man in der Welt noch ein bisschen neuen Operetten entgegen: Womöglich sind sie nicht „deep“ genug, könnten Freude bereiten, dürfen (müssen?) Spaß machen und gleichzeitig auch sentimental und kitschig sein. Die Operette ist immer ein bisschen schmutzig. Mir gefällt’s. Jene, die sofort die Nase rümpfen, sollen ihre Nase mal eine Stunde in einen jener herrlich-altmodischen Theatervorhänge stecken… was man da alles sehen und erleben kann!

Hufner: Ja, gibt es da eine Chance zum „Entrümpfen“ der Nasen? Sie unterrichten ja Komposition? In der Studienbeschreibung heißt es eher gerümpft: Im Studium „wird ein besonderer Schwerpunkt auf die Reflexion innovativer Konzeptionen zur Verbindung von klassischem und zeitgenössischem Stilbewusstsein gelegt. Die Entwicklung von Präsentationsideen soll hierbei eine wesentliche Rolle spielen, um der aktuellen Musik neue Hörer, Netzwerke und Kontexte zu erschließen.“ Welche Rolle spielt da die Operette im Unterricht? Können Sie auch Operette lehren, kann man Operette lernen?

Kampe: Das ist ein 1-A-Institutionen-Operettentext, leider nicht von mir… Schriebe ich hin, was ich so denke… Was würde eine Akkreditierungsfirma davon halten? Wir müssen das bald mal an die Realität anpassen… Was ich aber auf keinen Fall mache: Ich unterrichte nicht mein Privatvergnügen. Wenn nun alle in Hamburg Operette schreiben müssten, weil der „Prof“ das so will – grausig.

„Bisher war ich wohl in keinem Stück so hemmungslos wie dort, das macht richtig Spass.“

Aber wenn wir von Theater reden, dann versuche ich allerlei Hemmungen zu nehmen: Ist das wirklich Theater oder ein beleuchtetes Proseminar? Was ist gegen das Singen einzuwenden, warum krächzt dein Tenor auf dem dritten Quintolensechzehntel irgendeinen Schlaubikram? Ich bin neulich alle möglichen Opern durchgegangen und ich tanze, singe, wurschtle da wild herum und hoffe, dass da so etwas wie Freude und Neugierde ausgelöst wird. In Analyse habe ich mal die (fabelhafte!) Instrumentation der Lustigen Witwe durchgenommen, da ich meinen Leuten nicht nur beibringen mag, wie man am besten am Cello schabt. In einem Klassenabend tauchen wir auch schon mal in Smoking und Abendkleid auf, und ich versuche zu vermitteln, dass Fröhlichkeit, Ausgelassenheit auch Teil von Musik sein kann. In Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen an der Hochschule entsteht gerade nach und nach ein großes Interesse an allen möglichen Musiktheaterformen; Operette kann, wenn wirklich gewollt, ein Teil davon sein.

Hufner: Was könnte man denn sonst von Operetten lernen? „Dass die Operette als Gattung nichts Neues mehr hervorbringt (also daran gemessen tot ist), gilt als so gut wie ausgemacht“, schrieb der Kritiker Joachim Lange anlässlich der Uraufführung von Daniel Behles Operette „Hopfen und Malz“, die Anfang dieses Jahres in Annaberg-Buchholz dann doch „mit 100 Jahren Verspätung zündete“. Moritz Eggerts Mythos-Operette „Die letzte Verschwörung“ wurde in Wien „geliked“. Was sollte eine aktuelle Operette können, was eben nur diese könnte?

Kampe: Naja… Wer so apodiktisch unterwegs ist, wird vermutlich irren. Das jedenfalls ist so gut wie ausgemacht. Eine aktuelle Operette könnte Gegenwart in sich aufnehmen, ohne zu belehren und könnte Sentimentalität zulassen, ohne schlechtes Gewissen zu bekommen. Die gelegentliche Träne im Knopfloch ist doch was Schönes. Neulich hat mein wunderbarer Hochschulkollege Christian Poewe bei uns eine Fledermaus inszeniert. Der berühmte „Frosch“ wurde verachtfacht und war fast eine jelinekartige Textwand, die Hauptrollen schimpften in ihrer Muttersprache. Ich hatte Schnappatmung vor Begeisterung und – kein Witz – habe vor Freude fast geweint. Das könnte eine Operette auch versuchen: Die akademische Hüftsteife avantgardistisch-teutonischen Komponierens hin und wieder gegen eleganten Hüftschwung mit ordentlich Tschackalacka austauschen. Und immer wenn einer „Materialstand“, „Diskurs“ oder „ja, aber“ sagt, bekommt er eine Nase aufgesetzt. Die Operette ruft: Macht euch mal locker. Wir sollten auf sie hören.

Hufner: Das sagt sich so leicht dahin. Sie haben gesagt, dass Sie noch nie so hemmungslos agieren konnten wie in Ihrer „Gefährlichen Operette“. Dem ästhetischen Rechnungshof gefällt so etwas eher selten, der fürchtet Kontrollverlust. Die Probleme liegen jedoch nicht nur auf Werk-Seite. Es gibt kaum noch Operettenhäuser, und auch ein Publikum, das sich dem subversiven Witz, einer sentimentalen Hausschmachtung und dem viralen Ohrwurm hingäbe, gibt es das überhaupt noch? Wie steht es um Angebot und Nachfrage? Wann kommt Ihre nächste Operette auf genau welche Bühne, Herr Kampe?

Kampe: Um den ästhetischen Kontrollverlust geht’s mir ja. Der ästhetische Rechnungshof möge sich entspannen und seine Yogamatte ausrollen, während ich seinen Jahresabschlussbericht zu einem von zwei Sägen begleiteten Walzer umfunktioniere. Ich habe ein paar fröhliche Gesichter gesehen nach den Aufführungen (und sicher auch ein paar Schmollende, ist ja okay!).

Wer natürlich vorher schon die Lippen schürzt und die Stirn in Falten legt, den werde ich wohl auch nur schwer mit gratis Eierlikör von der Dringlichkeit des operettigen Unternehmens überzeugen können und der hält Offenbach auch zuerst für eine Stadt in Hessen. Das Ding lief in der Spielfassung von Ann-Christine Mecke (Regie von Elena Tzavara und Sarah Ritter) jetzt einige Male und damit zirka 1.200 Prozent häufiger als die meisten der Stücke, die ich für Uraufführungsfestivals geschrieben habe. Dass so ein Ding länger lebt und sich entwickeln darf, ist wirklich toll. Operette als kleine, schmutzige und variable Form, das wäre doch was! Und dafür gibt’s auch ein Publikum. Wann die nächste kommt? Bei den durchschnittlichen Vorlaufzeiten… hoffentlich noch vor meiner Pensionierung.