Ob der KulturPass für 18-Jährige ein Erfolgsmodell ist oder nicht, kann man nur daran ermessen, ob die damit verfolgten Ziele erreicht wurden oder nicht. Diese wurden zu Beginn klar kommuniziert: „Der KulturPass soll nicht nur junge Menschen, sondern auch die Kultureinrichtungen unterstützen. Sie wurden ebenfalls hart von Corona getroffen und kämpfen noch immer darum, ihr Publikum zurückzugewinnen. Ziel ist es, durch den KulturPass die Nachfrage in den Einrichtungen zu stärken und ihnen zu ermöglichen, neues Publikum für sich zu gewinnen.“
Hat man die potenziellen Nutzer*innen erreicht? Haben die potenziellen Nutzer*innen ihren Etat genutzt? Letztlich auch die Frage: Hat die Kulturbranche von der Nutzung profitiert? Zu den Grunddaten: Wer nutzt die KulturPass-App und in welchem Umfang: Etwa 39 Prozent der möglichen Nutzer*innen haben sich über die KulturPass-App Kultur schenken lassen (rund 285.000 Personen bei etwa 750.000 Teilnahmeberechtigten). Das sei im europäischen Vergleich „ein Ergebnis, das sich sehen lassen kann“, sagte eine Sprecherin der BKM auf unsere Anfrage. Dennoch wurde bisher von den 100 Mio. Euro, die man zur Verfügung gestellt habe, nur ein Gesamtumsatz von 24,9 Mio. Euro erzielt. Das entspricht Ausgaben pro Person von etwa 85 Euro (bei 200 Euro zur Verfügung stehender Mittel). Aus Gründen des Datenschutzes sei es aber nicht möglich, zu ermitteln, wie viele Stark- oder Wenignutzer*innen darunter sind – und der erste Jahrgang der KulturPass-Nutzer*innen hat zudem noch Zeit bis Ende dieses Jahres, seinen Etat einzusetzen.
In demografischer Hinsicht sind einige Ergebnisse bemerkenswert: Tatsächlich wurden in etwa genauso viele Jugendliche mit Migrationshintergrund erreicht, wie sie in der Bevölkerung vorhanden sind – nämlich etwa 33 Prozent. Das ist gut! Bei der Frage der Nutzung durch Geschlechter sieht es ganz anders aus. Etwa ein Drittel der männlichen Nutzer stehen zwei Drittel der Nutzerinnen gegenüber. Signifikante Unterschiede scheint es zu geben, wenn man sich die Nutzung des KulturPasses auf der Landkarte anschaut: „Insgesamt lässt sich sagen, dass die Zahl der Reservierungen in großen Bundesländern wie NRW, Bayern und Baden-Württemberg oder auch in den Stadtstaaten Berlin und Hamburg besonders hoch liegt. Aber auch Bundesländer wie Hessen oder Sachsen verzeichnen viele Reservierungen. Weniger hoch liegt die Zahl der Reservierungen etwa im Saarland, in Schleswig-Holstein oder in Mecklenburg-Vorpommern“, sagte eine Sprecherin der BKM (Stand 21.3.2024). Das zu erklären, fällt nicht leicht, daher versuche ich es auch erst gar nicht.
Welche Art von Kulturangeboten wurden nun tatsächlich erworben und genutzt? Über die Hälfte entfallen 59 Prozent auf Bücherkäufe, gefolgt von 29 Prozent für Kinobesuche, auf Konzert und Bühne entfallen 10 Prozent. Alle anderen Kategorien wie Noten, Musikinstrumente, Parks & Museen und Tonträger tragen mit 1 Prozent oder weniger Reservierungen zum Gesamtbild bei. Dabei wurden folgende Umsätze erzielt: 49 Prozent für Bücher, 30 Prozent für Konzert und Bühne, 17 Prozent für Kino, 3 Prozent für Musikinstrumente, der Rest des Angebots ist vernachlässigbar. Zusammen ergab dies einen Betrag von 25,7 Mio. Euro. Also gerade mal 25 Prozent der zur Verfügung gestellten Mittel sind bislang abgerufen worden.
Eine der Grundideen des KulturPasses war es auch, der durch die Corona-Krise gebeutelten Kulturbranche unter die Arme zu greifen. Ist das gelungen? Die Zahlen sagen: Nein. Nehmen wir die Kategorie Buch als Beispiel: Dort wurden bislang 12,5 Mio. Euro für Bücher umgesetzt. Der gesamte Buchhandel hatte 2022 (neuere Zahlen liegen bislang nicht vor) insgesamt ein Umsatzvolumen von circa 9400 Mio. Euro. Man liegt damit also bei etwa 0,12 Prozent. Und das gesehen auf im Prinzip alle lieferbaren Titel, vom Fachbuch bis zu Büchern rechtsextremer Autor*innen.
Die Musikwirtschaft hat ebenfalls die Idee des KulturPasses begrüßt: „Wenn über diese Angebote dann tausende 18-Jährige auf die Konzerte oder in die Platten- und Musikinstrumentenläden strömen, bieten sich große Chancen im Sinne eines nachhaltigen Audience Developments.“ (Pressemailing: Forum Musikwirtschaft begrüßt KulturPass). Hat sich das realisiert? Für Tonträger sieht die Bilanz eher düster aus: 131.000 Euro wurden hier umgesetzt. Bei einem Gesamtumsatz von 2007 Mio. Euro im Jahr 2022 entfielen immer noch 408 Mio. Euro auf physische Tonträger wie CD, Vinyl und Kassette (für Streamingangebote konnte der Etat nicht eingesetzt werden). Die KulturPass-Nutzung trägt damit zu knapp 0,003 Prozent zum Umsatz der Branche bei. Ein Erfolg sieht anders aus. Es kann aber nicht nur Verlierer geben. Mit 6,9 Mio. Euro haben die Beteiligten an der Entwicklung der Software und ihrer Wartung den dicksten Kuchen abgegriffen. Im Bereich Konzert & Bühne sind rund 69 Prozent aller Reservierungen mithilfe des Online-Ticket-Verkäufers Eventim abgewickelt worden. Bei einem Gesamtwert der Reservierungen in diesem Bereich von 7,8 Mio. Euro wären das 5,3 Mio. Euro. Nimmt man eine Provision von 5 bis 10 Prozent bei den Ticketverkäufen an, so wären das zwischen circa 250 bis 500 Tsd. Euro. Im Buchhandel dürften sich ähnliche Ballungen finden lassen, denn statt der kleinen Buchhandlung vor Ort, wurde dort das Geschäft von wenigen Spezialbuchhändlern abgewickelt. Genau genommen muss man zudem herausrechnen, welche Käufe ohnehin auch ohne KulturPass zustande gekommen wären. Die Steuerungsfunktion für den Kulturmarkt bleibt insgesamt ernüchternd, was nicht heißt, dass es nicht vereinzelt im Veranstaltungsbereich positive Effekte gegeben haben könnte.
Allein für die Kategorie „Musikinstrumente“ scheint eine gewisse positive Wirkung nachweisbar. Für die zweite Ausgabe des KulturPasses steht den Nutzer:innen nur noch die Hälfte des Etats zur Verfügung, nämlich 100 Euro. Das wird die Effekte im Musikinstrumentenbereich wahrscheinlich dämpfen, denn da wird die Auswahl der Angebote kleiner werden.
Ein Erfolgsbericht sieht eigentlich anders aus. Auch wenn es heißt, dass man einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen soll, muss die Frage erlaubt sein, ob es nicht bessere und effektivere Wege gäbe, Zugänge zur Kultur zu bahnen und vor allem neu zu legen bei Menschen, die zum Beispiel eher kulturfernen Kreisen angehören.
- Zuerst erschienen in: nmz Ausgabe 04/2024 – 73. Jahrgang