Seit ein paar Jahren, die Corona-Delle außer Acht gelassen, können der Bundesverband Musikindustrie und die GEMA mit Rekordzahlen in ihren Geschäfts- und Umsatzberichten aufwarten. Die Musikwirtschaft wächst seit 2012 kontinuierlich, die Verteilungssumme der jährlichen GEMA-Ausschüttungen ebenfalls. Alles wird besser. Aber wie vor einem Jahr an dieser Stelle, sind Zweifel angebracht.
Der schleichende Niedergang der Kreativwirtschaft
Schaut man sich die aktuellen Zahlen und deren Entwicklung bei der GEMA an, sieht man eine Korrelation zwischen Mitgliederwachstum und Verteilungssumme. So steigt bei der GEMA die Verteilungssumme auf 1.082 Millionen Euro (2014: 755 Millionen Euro), gleichzeitig wächst die Zahl der Berechtigten (Urheber*innen, Textdichter*innen, Verlage und Rechtsnachfolger) stetig: aktuell sind es etwa 95.000 Berechtigte, 2014 waren es gerade erst 70.000. Die Branche wächst dabei insbesondere im Bereich der Urheber*innen. Wo mehr Schöpfung, da ist auch mehr Abschöpfung, könnte man sagen – allerdings nicht im Mittel. Berechnet man die durchschnittliche Verteilung pro Mitglied, so hat 2014 jeder Berechtigte 10.830 Euro erhalten, 2023 sind es – leichte Steigerung – 11.509 Euro. Auch hier sieht man über die Jahre ein stetiges Wachstum. Dabei wurde übrigens 2019 der Höhepunkt erreicht, bei dem durchschnittlich 11.840 Euro an die Berechtigten ausgeschüttet wurden. Tatsächlich verdeckt diese Rechnung allerdings, dass das unter Berücksichtigung von Inflation und Kaufkraft de facto einen Rückgang darstellt. Danach würden die 10.830 Euro von 2014 einem Wert von 12.819 Euro im Jahr 2023 entsprechen.
Noch drastischer fällt die Entwicklung im Bereich des Bundesverbandes der Musikindustrie aus. Deren Branchenumsatzspitzenwert erzielte man 1997 durch CD-Verkäufe mit umgerechnet 2.308 Millionen Euro. Nach dem Napsterschock und CD-Pirateriekrise seit Ende der 1990er-Jahre sank das Niveau bis 2012 auf einen Tiefstand von dem man sich seither erholt. Hauptgrund: Der Start des Musikstreamingdienstes Spotify 2012 (und seiner Mitbewerber). Mittlerweile werden im Musikstreamingbereich zirka 1.700 Millionen Euro umgesetzt. Man nähert sich also dem Rekordumsatz von 1997 an. Berücksichtigt man allerdings auch hier die Veränderungen durch Inflation und Kaufkraftentwicklung, entsprächen die 2.308 Millionen Euro von 1997 etwa 3.533 Millionen Euro im Jahr 2023. Beim Musikstreaming hat man gerade tatsächlich erst 50 Prozent des Umsatzes erreicht, den die CD 1997 erwirtschaften konnte. Aber hört man heute auch insgesamt weniger Musik? Das scheint nicht der Fall zu sein.
Die ganzen Entwicklungen zeigen damit eher einen andauernden Niedergang der Kreativbranche, im gesamtgesellschaftlichen wirtschaftlichen Kontext. Zumindest ist das Wachstum allein ein Nominelles, kein Faktisches. Es ist immerhin halbwegs gelungen, den Niedergang der CD durch Musikstreaming sowohl aufseiten der Musikindustrie wie seitens der GEMA abzufedern. Gleichwohl ist es überhaupt nicht gelungen, diesen Technologiewechsel so auszuhandeln, dass die Kreativen davon tatsächlich adäquat profitieren. Man kann auf dem Markt nur den Preis aushandeln, den die Konsumenten zu zahlen bereit sind.
Da spielt die Psychologie eine gewichtige Rolle. Bei zehn Euro liegt offenbar sprichwörtlich die Schallmauer, die Konsumenten fürs Streaming aufbringen wollen. Und deutlich mehr wollen auch die Streamingdienste nicht an die Kreativen ausschütten. Im Gegenteil: Platzhirsch Spotify enteignet die Kleinstkreativen sogar. „Die Spotify-Änderungen sehen dabei vor, Songs zukünftig nur noch dann zu vergüten, wenn diese pro Jahr über tausendmal von 50 unterschiedlichen Usern gestreamt werden. Songs, die diesen Wert unterschreiten, hingegen werden ab sofort nicht mehr vergütet“, schreibt der Branchendienst BackstagePRO. Andererseits wurde im letzten Jahr durch den auf Musik spezialisierten Daten-Analysten „Luminate“ eine Upload-Rate von 120.000 Tracks pro Tag ermittelt, die auf den Streamingplattformen landen. Über 45 Millionen Tracks wurden angeblich noch nie gehört. Aber statt der Überflutung von „musikalischem Biomüll“, wie es der Musikjournalist Kristoffer Cornils auf DJ-Lab nennt, etwas entgegenzusetzen, setzt man die bequeme Schere an. Alternativen für Nachwuchs-Künstler*innen? Keine.
Was ist uns unsere musikalische Kultur also wirklich wert? Der Musikkonsum hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen, aber wenn man die Zahlen ernst nimmt, wirkt sich das aufseiten der Kreativen leider gar nicht in dem Maße aus. Es ist ein Scheinwachstum. Hoffnung macht dagegen die Entwicklung im Bereich „Lebende Musik“, wie es im Geschäftsbericht der GEMA heißt, in dem der größte Ertragssprung von 116 Millionen Euro (2022) auf 167 Millionen Euro (2023) zu vermelden war. Dieser Bereich scheint auch weitgehend immun gegen selbst die rasantesten Entwicklungen im Bereich KI-generierter Musik zu sein.
- Zuerst erschienen in nmz Ausgabe – 06/2024 – 73. Jahrgang