„Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Rechtsextremismus“, das eine Art konservative Revolution in Europa in Gang setzen will. Rechtsextreme Parteien bekunden offen ihre Verachtung für Institutionen der Demokratie. Umbauprozesse waren oder sind in Polen und Ungarn im Gange, werden in der Slowakei und in Italien vorangetrieben. Die rechte Regierungskoalition in den Niederlanden schrumpft ihre Kulturförderung – das Nationale Jugendorchester der Niederlande bekommt Finanzierungsprobleme, wie aus gut unterrichteten Kreisen zu hören ist.
In Deutschland kündigt Björn Höcke, der potenziell mögliche nächste Ministerpräsident Thüringens, an, die Medienstaatsverträge kündigen zu wollen und damit dem MDR das Licht auszuknipsen. Höcke dürfte ein über Steuern finanzierter Staatsfunk für seine Volksempfänger vorschweben, der an die Stelle eines über Beiträge finanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks treten und völkische Nationalpropaganda senden soll. Dass sich viele Menschen aber genau so einen medialen Manipulationsapparat wünschen, zeigen die Wahlprognosen für Thüringen. Ob ein solcher Umbau überhaupt verfassungsrechtlich möglich wäre, bestreiten die meisten Medien- und Verfassungsrechtler allerdings. Doch selbst unterhalb dieser Schwelle sind massive Eingriffe in die Medien- und Kulturlandschaft natürlich möglich.
Der politische Klimawandel hat dabei längst auch Politiker*innen aus dem konservativen Lager erfasst, wenn sich beispielsweise amtierende Ministerpräsidenten gegen eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags stellen. Da träumt ein Ministerpräsident Markus Söder von einer Einschmelzung der Programmvielfalt. Allerdings scheint selbst für vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextreme Personen immer wieder ein attraktives Plätzchen in der einen oder anderen verbreiteten Schwurbelnachricht oder in der einen oder anderen Talkshow.
Aus den spukenden Gespenstern des Rechtsextremismus sind längst Politiker aus Fleisch und Blut geworden. Die AfD hat das Feld explizit für sich entdeckt, denn sie weiß, erst wenn antidemokratisches Denken in die Tiefe der gesellschaftlichen Kultur eindringt, ist man vor Wahlen sicher. Diese muss man nicht mal abschaffen, wie das Beispiel von modernen Autokratien wie Belarus oder Russland zeigt – und wie es sich in Ungarn und der Slowakei bereits mehr als andeutet.
Ein paar Beispiele aus der aktuellen Musikkultur belegen, dass die Rechtsextremen auch die Spielfelder in der Musikkultur zu besetzen versuchen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien ein Artikel mit dem Titel „Internationalen [sic!] Quellenlexikon der Musik droht Kahlschlag“ und „Ein Weltmusikerbe ist bedroht“. Eingeleitet wird der Beitrag so: „Die Bundesbeauftragten für Kultur und Medien plant, dem internationalen Quellenlexikon der Musik die Mittel zu streichen. Das würde eine musikalische Tradition zum Verstummen bringen.“ Auf Nachfrage bei der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien stellte sich heraus: Die Sache stimmt nicht. Es flossen bisher keine Mittel aus ihrem Haushalt zum Internationalen Quellenlexikon der Musik (kurz: RISM), folglich ist es auch schwer möglich, entsprechende Mittel zu streichen.
Diese Falschmeldung einer seriösen Tageszeitung wurde bis heute nicht korrigiert, aber fand sofort Widerhall in – allerdings nicht nur – rechtsextremen Netzwerken. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Volker Münz, stellvertretendes Mitglied der AfD-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Kultur und Medien, äußerte sich wie folgt: „Es ist unverständlich, warum gerade in Zeiten, in denen die Digitalisierung und der Zugang zu kulturellem Wissen gefördert werden sollten, eine so bedeutende Institution wie das RISM finanziell die Zeche einer verfehlten Haushaltspolitik zahlen soll. Statt den Rotstift bei den vielen fragwürdigen zeitgeistigen Projekten im Kulturbereich, seien sie nun divers, geschlechtergerecht oder postkolonialistisch motiviert, anzusetzen …“ Interessant daran ist: Dass man jede Falschinformation gleichzeitig dafür nutzt, anderen „Projekten im Kulturbereich“ ihrerseits mit dem Rotstift zu drohen – im Namen und unter dem Kampfbegriff der „deutschen Kulturnation“. Geschlechtergerechtigkeit und Diversität stehen so wenig auf der Agenda der Antidemokraten wie die Aufarbeitung der Schäden aus kolonialer deutscher Vergangenheit. Dafür gibt es die gaulandsche Fliegenschiss-Rhetorik inklusive.
Die neuen Rechtsextremen nehmen es mit Wahrheit und Verantwortung nicht so ernst. Gleichzeitig können sie ihre Programmatik ohne Verschleierung zum Besten geben. Das allerdings zeichnet ein erschreckendes Bild unserer Gesellschaft, die nicht nur diesen Protagonisten den Vogel nicht zeigt, sondern diese auch noch wählt.
Das Programm der AfD hat die Bundestagsfraktion am 17. Januar 2023 unmissverständlich unter dem Titel „Deutsche Identität verteidigen – Kulturpolitik grundsätzlich neu ausrichten“ formuliert. Die Pflege von Sprache sei „von zentraler Bedeutung für die Aneignung des kulturellen Erbes und seine Weitergabe an die nächsten Generationen …“ – nur, selbst muss man sich daran nicht halten. In seiner Stellungnahme zur Petition „Qualifizierter Musikunterricht muss umsatzsteuerfrei bleiben!“ schreibt Matthias Moosdorf (AfD, MdB) gänzlich sinnfrei zum Gegenstand und Thema der Petition (wir haben den Text nicht verändert):
„Musikunterricht ist nicht nur Ausweis einer Kulturnation, sondern schult zugleich kognitive Fähigkeiten für die MINT-Fächer. Deutschland hat angeblich kein Geld, weil es für ideologischen Blödsinn ausgegeben wird. Die Ausbildung unserer Kinder ist das Allerletzte, woran wir sparen sollten. Solche Entscheidungen kommen von kulturlosen Banausen. Die Ampelregierung ist voll. on ihnen. Wir sagen NEIN!“
Mittlerweile sagt zu dieser Art von „Nein“ eine nicht mehr unbedeutende Anzahl von Menschen „Ja“.
Was tun? Es gibt zwar Beispiele aus der jüngsten europäischen Geschichte, wo es den Anschein hat, dass sich die Versuche einer beabsichtigten reaktionären, regressiven und konservativen Revolution aufhalten lassen, so wie in Polen oder im Vereinigten Königreich. Aber die historische Erfahrung lehrt: Sind Institutionen der Demokratie erst einmal beschädigt oder zerstört, ist deren Restaurierung ein Prozess, der Generationen dauert.
- Zuerst erschienen in nmz Ausgabe 09/2024 – 73. Jahrgang (1.9.2024)